Elfenmeer: Roman (German Edition)
gegenüber, die sie freundlich anlächelte.
»Ich …« Liadan entschied, dass es besser war, erst mal nichtihre Identität preiszugeben, und so bemühte sie sich um einen lockeren Umgang mit der Frau. »Ist mein erstes Mal hier«, antwortete sie und wies auf die Korallen. »Wie überleben sie? Hier drin ist doch gar kein Wasser.«
»Da fragst du mich zu viel. Magie ist Elfensache, weißt du.« Sie ließ ihren Blick über Liadan schweifen und schnalzte missbilligend. »Von welchem Sklavenschiff haben sie dich denn geholt? Hatten noch nie elfische Flüchtlinge. Die werden wohl immer gieriger, die Rinieler, was?«
Liadan hob bemüht gleichmütig die Schultern. »Bringt der Korallenfürst all die Menschen der Handelsschiffe hierher?« Sie warf dem Anführer der Piraten einen kurzen Blick zu. Der war gerade damit beschäftigt, mit einem Holzschwert herumzufuchteln, als strecke er einen Feind nieder, und die Kinder klatschten begeistert Beifall.
»Ja, alle, die er retten kann«, antwortete die Frau. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und betrachtete den Korallenfürsten ebenfalls ein paar Augenblicke schweigend. »So oft wie früher gelingt es ihm aber nicht mehr. Die Rinieler werden immer ausgefuchster. Einerseits ist das gut, da wir hier schon aus allen Nähten platzen.« Sie lachte gezwungen auf. »Aber andererseits bedeutet das für die Menschen da draußen ein qualvolles Leben. Ich mag gar nicht an all die armen Seelen denken, die nicht so viel Glück haben wie wir.« Sie wandte sich wieder Liadan zu und schlug die Hände zusammen. »Dann lass uns mal zusehen, dass wir dir etwas Ordentliches zum Anziehen besorgen. Du siehst aus, als hättest du schon einiges hinter dir.«
»So ist es«, seufzte Liadan und sah an sich hinab. Die Meerjungfrauen hatten nicht unbedingt zu einem ordentlichen Erscheinungsbild beigetragen und ihr Kleid nur noch weiter zerrissen. Also folgte sie der Menschenfrau, die unterwegseine ganze Horde Kinder einsammelte, und sah sich in dem berühmten Unterwasserpalast des Korallenfürsten um. Alles hier drin war klar und rein, so, wie sie sich das Meer stets vorgestellt hatte, wenn sie es von der Festung aus betrachtet hatte. Manchmal als Kind hatte sie sich ausgemalt, wie es wäre, eine Meerjungfrau zu sein und sich all die versteckten Dinge unter der Oberfläche ansehen zu können. Jetzt war sie hier, und was sich ihr zeigte, war eindrucksvoller als alles, was sie sich in ihrer Phantasie vorgestellt hatte. Es war ein Paradies.
»Mal sehen, was wir für dich haben.« Die Menschenfrau führte sie in eine weiträumige Kammer, an deren Wänden sich Korallen hin und her wiegten, obwohl hier drin kein Wasser war. Mehrere Schlafstätten erstreckten sich zur linken Seite, während zur Rechten Truhen und ein Tisch mit einem guten Dutzend Stühlen Platz fanden. Die Menschenfrau ging auf eine der Truhen zu und kramte in deren Inhalt.
»Du bist größer als ich, aber zur Not wird’s wohl gehen.« Sie zog ein rotes Kleid heraus und klopfte es mit der flachen Hand ein wenig ab. »Zumindest ist es noch heil.«
»Ich danke dir.«
»Auf welchem Schiff warst du denn?«, wollte plötzlich ein goldhaariger Junge von ihr wissen, der sich vor ihr auf den Boden hockte und an einem Stück Hartbrot kaute, das zweifelsohne von den mitgebrachten Vorräten stammte. »Du bist ja eine Elfe.«
Liadan sah in die neugierigen Augen der vielen Kinder und presste die Lippen aufeinander. Am Rande bemerkte sie, dass auch noch andere Menschen die Kammer betraten und sie neugierig ansahen.
»Ich kam mit dem Korallenfürsten«, erzählte sie und hoffte, die Kinder damit zufriedenzustellen, doch der Junge ließ nicht locker.
»Und wo warst du vorher?«
»Auf der Widerstand . Das ist das Schiff von …«
»Naylas Schiff.« Der Junge nickte wichtigtuerisch. »Nayla war mal eine von uns, aber sie wollte nicht hier unten leben und ist lieber auf dem Schiff geblieben. Sie ist in Avree verliebt.«
Liadan spürte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. »Dann ist es verständlich, dass sie mit ihm gehen will, meinst du nicht?«
»Ach was, die wollte nur ein Schiff und Leute herumkommandieren – das sagt meine Mutter immer.«
Die Menschenfrau, welche augenscheinlich die Mutter des Jungen war, kam mit dem Kleid in der Hand auf sie zu. »Ich war auf demselben Handelsschiff wie Nayla«, erzählte sie und reichte Liadan das Kleid. »Das Kind wollte schon immer raus ins Freie, fort von allen Wurzeln, und noch nicht einmal
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