Elfenmeer: Roman (German Edition)
Wasser umgeben, versucht also nicht, von hier zu fliehen. Ihr würdet es bereuen. Jetzt ist es Zeit, den Aufenthalt zu genießen.«
Liadan kam nicht dazu zu fragen, was er damit meinte. Stimmen und Gelächter hallten durch das Gewölbe, und als Liadan über die Mannschaft und ihre Fracht hinwegblickte, erkannte sie Gestalten, die sich in wahren Massen näherten. Sie kamen aus einer großen Halle in den Tunnel gelaufen, lachten und riefen aufgeregt durcheinander. Bei näherer Betrachtung erkannte Liadan, dass es sich um Menschen handelte. Kinder, Erwachsene, Alte … sie alle umringten die Piraten und sprangen fröhlich umher.
»Sie sind wieder da!«, riefen manche von ihnen und rannten direkt auf den Korallenfürsten und Liadan zu. »Endlich seid ihr wieder da.«
Menschenkinder schoben sich an den anderen vorbei und blickten zum Korallenfürsten auf, als wäre er ein schillernder Held. Verehrung und Bewunderung stand in den leuchtenden Augen, und als der Korallenfürst plötzlich Rinieler Münzenaus seiner Tasche zog und verteilte, jubelten die Kinder vor Freude über die glitzernden Geschenke.
Hier unten waren sie wertlos, und doch sahen die Kinder die Münzen als Geschenk, als Spielzeug.
»Wie viele Schiffe habt ihr diesmal versenkt?«, wollte ein kleines Mädchen wissen. Sie hatte das braune Haar zu einem Zopf geflochten, der sich um ihren Kopf schlang, und ihr Kleid war bereits mehrmals geflickt und viel zu weit. Trotzdem machte sie einen überglücklichen Eindruck.
»Hunderte«, erwiderte der Korallenfürst lächelnd und zerzauste einem neben ihm herhopsenden Jungen das Haar. »Es waren so viele, dass ich sie nicht zu zählen vermochte, und ihre Ritter kämpften wie wilde Bestien – aber am Ende sanken sie auf den Grund der See.«
Die Kinder jubelten, während sie die Halle betraten und die Mannschaft die Vorräte ablud. Die Menschen schienen eine gewisse Rangordnung zu haben, denn eine Handvoll trat vor und begann damit, die Beute aufzuteilen. Niemand drängte sich um das wertvolle Gut, einzig um den Korallenfürsten.
Alle stellten ihm Fragen, dankten ihm und sprachen Segensworte aus, als wäre er ihr König – nein, als wäre er ihr Gott.
Liadan betrachtete den Elfen, der mit scheuem Lächeln in deren Mitte stand und den Kindern von den bösen Rinielern und ihren Schiffen erzählte, und fragte sich, was die Menschen in ihm sehen mochten. Er war doch nur ein Pirat.
»Mama!« Die schrille Stimme der Kapitänin Nayla lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Umstehenden, und sie erkannte, wie Nayla auf ein Menschenpaar zulief und es in die Arme schloss. Der Mann und die Frau in den einfachen Gewändern mochten ihre Eltern sein. Aber wenn Nayla Familie hier hatte, weshalb verbrachte sie dann ihre kurze Lebenszeitdamit, die See zu befahren und Schiffe zu kapern? Lag es am Feuerprinzen?
Jemand stieß gegen ihre Schulter, und Liadan taumelte zur Seite. Niemand schien sie in diesem Gedränge wirklich wahrzunehmen, alle sahen einzig und allein die Piraten. Eine ungewohnte Situation für Liadan, wenn man bedachte, dass sie ansonsten im Mittelpunkt stand. Mit ihrem zerzausten Haar, das ihr gerade noch bis zur Schulter reichte, und dem zerrissenen Kleid hielt man sie wohl eher für eine Piratin als für eine Königin. Dies verschaffte ihr ein wenig Zeit, um sich in der Halle umzusehen. Etwas, das sie sich zuvor nicht erlaubt hatte, doch es schien, als drohe ihr im Moment keine Gefahr. Ihr Blick fiel auf die Wände und glitt daran hinauf in schwindelerregende Höhen. Ähnlich wie die Halle im Drachenfelsen ihres Zuhauses Lurness war diese von einzelnen Galerien umrundet, doch hier war alles anders. Die Wände, die Treppen, die Geländer … alles leuchtete in den blühendsten Farben, und als Liadan sich zur Seite kämpfte und die Hand auf die Wand legte, erkannte sie, dass der Palast aus Korallen bestand. Hier unten waren es rosaweiße Skelette, die einen eigenen Schimmer in sich trugen, doch weiter oben sah es aus, als wüchsen Blüten daraus. Selten hatte Liadan etwas so Wundervolles gesehen. Vielleicht sogar noch nie. Wie hatte ihr dieses Bild nur entgehen können? Sie war in eine Welt der Farben geraten und hatte doch nur den Korallenfürsten und all die Menschen gesehen … die Gefahr. Aber jetzt nahm die beeindruckende Umgebung sie vollkommen gefangen, und Liadan drehte sich, den Kopf in den Nacken gelegt, im Kreis.
»Du warst noch nie hier?«
Liadan fuhr herum und sah sich einer Menschenfrau
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