Elfenmeer: Roman (German Edition)
gefroren. Schnell zog er ihr wieder die Kapuze über den Kopf und ertastete plötzlich etwas Nasses. Blut. Sein Brustkorb zog sich zusammen. Er musste ein paarmal tief ein- und ausatmen, ehe er mit seiner Untersuchung fortfahren konnte. Vorsichtig drehte er sie zur Seite und ließ seine Hände über ihren eingemummten Körper gleiten. Er vermochte nicht zu sagen, wie stark sie verletzt war, bestimmt hatte sie einige Brüche davongetragen, von ihrer Kopfverletzung ganz zu schweigen, aber im Moment konnte er nichts für sie tun. Sie musste zu einem Heiler, und das so schnell wie möglich. Er selbst war der Magie der Heilung nicht kundig, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu beeilen. Marinel gab ein leises Wimmern von sich, als er seinen Arm unter ihre Knie schob und sie hochhob. Er brauchte doppelt so lange, um aus der Gletscherspalte nach oben zu gelangen, wie hinab, und einmal musste er innehalten, um erneut die Magie des Wassers zu rufen und die Stufen zu verbreitern. Oben angelangt, wartete er auf den Sonnenaufgang, hielt Marinels Körper fest an sich gedrückt und verweigerte jeden Gedanken. Er schaltete seinen Geist aus, ließ nur noch seinen Körper zurück und handelte intuitiv. Er hielt Marinel auf seinem Schoß fest umschlungen, um sie zu wärmen, und immer wieder überprüfte er ihren Atem und ihren Herzschlag. Sie wurde kein einziges Mal wach, doch als erihre Handschuhe auszog, um ihre Finger zu reiben und zu wärmen, stellte er voller Entsetzen fest, dass die Finger ihrer rechten Hand offene Brüche davongetragen hatten und abzufrieren drohten. Sofort ermahnte er sich, keine Gefühle zuzulassen, nur zu funktionieren und den tiefsitzenden Schmerz auszusperren. Valuar richtete die Brüche, so gut es ihm möglich war, aber er konnte kaum etwas anderes tun, um ihr zu helfen. Er wusste zu wenig über die Heilkunde.
Am Morgen machte er sich sofort auf den Weg, den Hang hinab, über Felsbänder hinweg und immer weiter talwärts. Alles, was er tun konnte, war, immer weiterzulaufen, nicht zu verharren, sondern sich vorwärtszubewegen. Und das tat er auch. Er dachte nicht nach, wagte es kaum, sie anzusehen, um dieses unerträgliche Schuldgefühl nicht zu spüren. Jetzt zählte einzig und allein, weiterzugehen und einen Heiler zu finden.
Am dritten Tag und weit jenseits seiner für möglich geglaubten Energie stand er schließlich vor einem Krater, durch den ein reißender Strom rauschte. Dem Krachen und Tosen nach zu urteilen stürzte der Fluss irgendwo hinter der Biegung als Wasserfall in die Tiefe. Viel interessanter als dieses Naturschauspiel gestaltete sich aber die gegenüberliegende Seite der Schlucht. Dort meinte Valuar die Umrisse eines Gebäudes im Sonnenlicht schimmern zu sehen, und er erinnerte sich vage an einen Tempel des Schicksals, der in diesen Gefilden zu finden sein sollte. Valuar konnte sein Glück kaum fassen. Als er die Hängebrücke in nicht allzu großer Entfernung entdeckte, kehrten seine Kräfte schlagartig zurück. Noch einmal überprüfte er Marinels schwache Lebenszeichen und lief schließlich los. Sie waren immer noch hoch in den Bergen und hatten die Baumgrenze noch nicht erreicht, der Schnee war aber zurückgewichen.
Die Priesterinnen im Tempel des Schicksals waren Heilkundige,und so holte Valuar das Letzte aus sich heraus und rutschte mehr, als dass er ging, den letzten Schotterhang hinab und betrat die schwankende Brücke. Die Tempelwachen sahen ihn schon von weitem und kamen ihm auf halbem Wege entgegen. Jene Elfen mit den dünnen Pferdeschwänzen auf ihren kahlgeschorenen Häuptern nahmen ihm Marinel wortlos aus den Armen und eilten mit einer Geschwindigkeit, zu welcher Valuar nicht mehr fähig gewesen wäre, auf den Tempel zu. In diesem Moment, da Marinels Körper aus seinen Händen glitt und er sie in Sicherheit wusste, brach die Erschöpfung über ihn herein. Ohne es verhindern zu können, sank er auf die Knie, und das Letzte, was er sah, waren die glatten Holzbalken der Brücke, die schnell näher kamen.
*
Lautes Stimmengewirr riss ihn aus der Dunkelheit, die ihn umgeben hatte. Als Erstes nahm er den überwältigenden Durst wahr, der jedes andere Gefühl überlagerte. Aber dann kehrte die Erinnerung schlagartig zurück und er fuhr mit einem Keuchen hoch.
Eine Gruppe Elfen in langen, flatternden Gewändern drehte sich zu ihm um. Die Frauen standen auf der gegenüberliegenden Seite des Raums an der Tür beisammen. Er selbst saß auf einem Bett, mit nichts
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