Elfenmeer: Roman (German Edition)
ihr verletztes Knie machte es ihr schwer, mit seinem Schritt mitzuhalten, doch Valuar würde sie notfalls auch tragen. Er stieß die Tür auf und nahm sich noch nicht einmal die Zeit, sich in der nun von Fackeln erhellten Nacht umzusehen. Er erkannte lediglich all die Krieger, die Befehle rufend zum Turm rannten. Sie kamen vom Palast, von den anderen Türmen, vom Tor … Sie alle waren dem Untergang geweiht.
»Feigling!«, brüllte Marinel und versuchte, sich von ihm loszumachen. »Ich wusste schon immer, dass du kein Ritter bist! Dort drin sind Piraten! Kämpfe!«
»Ich lasse mich nicht töten!«
»Du hast einen Schwur geleistet! Du musst kämpfen!«
»Nicht in einem Kampf, den ich nicht gewinnen kann!« Er zerrte sie durch das geöffnete Tor in der Ringmauer, durch das Krieger von den Patrouillen in den Hof strömten. Immer wieder erscholl der langgezogene Laut eines Horns, und als Valuar zum Aussichtsturm jenseits des Palastes hochblickte, erkannte er einen dunklen Schatten, der dort oben stand und die Krieger mit weiteren Hornstößen herbeirief. All das würde nichts nutzen. Valuar hatte erkannt, dass der Feuerprinz bereit war, alles für seine Flucht zu geben. Und dass Marinel stark war, aber nicht stark genug. Der Feuerprinz war bereit, alle und jeden zu töten, und solange kein ganzer Wagen voller Schattenkristalle durch dieses Tor fuhr, konnte niemand den Piraten aufhalten.
»Valuar!« Marinels Kreischen surrte in seinem Ohr, doch er zog sie unbeirrt weiter in die dunklen Gassen der Stadt, die verlassen dalagen. »Ich hasse dich, Valuar! Ich hasse …«
Ein ohrenbetäubender Knall zerschnitt die Rufe der Krieger und Marinels Schreien. Valuar fuhr herum und starrte auf die fauchende Feuersäule, die sich hinter der Mauer zum Palasthof in den Himmel schraubte – so blendend hell, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Schwarze Schatten, die sich vor dem Feuer abzeichneten, flogen auf ihn zu, und im nächsten Moment barst auch die Ringmauer mit einem Krach, der seine Ohren klingeln ließ. Trümmer flogen ihnen entgegen.
»Marinel …!« Valuar schlang die Arme um Marinels Taille und warf sie ohne Rücksicht zu Boden. Er hörte Marinels Schrei, aber er drückte sie nieder und versuchte, alles von ihremKörper zu bedecken, als auch schon die ersten Gesteinsbrocken auf ihn niederprasselten. Ein Stöhnen entfuhr ihm, als sein Rücken von einem schweren Stück Geröll getroffen wurde, und der Geruch nach verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase. Die Augen zusammengepresst und die Hände über den Kopf geschlagen verharrte er einige lange Augenblicke, und erst als der Gesteinsregen endete, wagte Valuar aufzublicken. Auch Marinel drehte sich herum, schob Valuar ein Stück von sich und sah sich in der hell erleuchteten Nacht um. Beide blickten zu der gewaltigen Bresche in der Mauer und den zerstörten Häusern in der Nähe. Das war es aber nicht, was sie beide regungslos verharren ließ. Nur zwei Körperlängen von ihnen entfernt rollte eine Feuersbrunst an ihnen vorbei die Straße hinunter, und inmitten der Flammen waren zwei Gestalten zu erkennen. Die Hitze brannte auf seiner Haut, biss in der Nase und legte einen Schleier aus Tränen über seine Augen, doch Valuar erkannte, wie das Feuer die beiden Gestalten über jedes Hindernis hinwegtrug. Selbst als sich Häuser in sein Blickfeld schoben, war noch der orangefarbene Schein in der Dunkelheit zu erkennen, der sich in unwirklicher Geschwindigkeit zum Hafen bewegte.
Valuar ließ langsam die Luft aus seinen Lungen entweichen und blickte zurück zum Palast. Er war nicht überrascht, verkohlte und abgetrennte Gliedmaßen um sich herum zu sehen, die immer noch dampften. Anders als Marinel, die plötzlich aufschrie und sich mit beiden Händen an seine Schultern klammerte. Ihr ganzer Körper zitterte, und Valuar schlang seine Arme um sie, um ihr Halt zu geben. Dieser Anblick konnte keine gütige Seele ungerührt lassen.
»Valuar«, keuchte sie und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd, wohl um dem unangenehmen Brandgeruch zu entkommen, oder aber auch, um nichts mehr sehen zu müssen.
Valuar blickte auf sie hinab, schob seine Hand unter ihr Kinn und sah ihr in die grünen Augen.
»Jetzt wäre der richtige Moment, um ›danke‹ zu sagen.«
Marinel starrte ihn an, immer noch mit demselben Entsetzen, das ein Beben nach dem anderen durch ihren Körper jagte. Dann nickte sie plötzlich und drehte ihr Gesicht wieder seiner Brust zu. »Danke«, hörte er sie leise
Weitere Kostenlose Bücher