Elfenmeer: Roman (German Edition)
Keiner der Teilnehmer an dieser Zeremonie schenkte ihr Beachtung. Sie war nicht von Bedeutung. Lediglich eine Elfe von unscheinbarem Äußeren in einem einfachen Gewand. Niemand Besonderes.
Die Geräusche der Feierlichkeiten hinter sich lassend ging sie weiter über den weißen Sandstrand zum Wasser hin. Der warme Wind trieb sanfte Wellen heran, deren Kronen im Mondlicht glitzerten. Das beständige Rauschen war nach all den Reden und Ehrbekundungen eine Wohltat für ihre Ohren. Es hätte ihr großer Tag werden sollen. Der Beginn ihres neuen Lebens. Doch stattdessen …
»Marinel!«
Ein Seufzer entfuhr ihr. Sie drehte sich nicht um und blickte weiterhin aufs Meer hinaus. Bei den Zuschauern und dem Podium spendeten Brandbecken Licht und Wärme, aber hier draußen herrschte silbrige Dunkelheit. Sie müsste nur weitergehen, eins werden mit dem salzigen Wasser, davongetrieben vom Meeresschaum …
»Marinel.« Elrohir kam neben ihr zum Stehen und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie wollte vor der Berührung zurückweichen, doch sie wusste, er hätte dies nicht zugelassen, und so verharrte sie regungslos.
Der Gesang eines jungen Mädchens drang zu ihr, das beständige Raunen der Gespräche verstummte. Da war nur noch diese liebliche Stimme, die sich mit dem Wispern des Ozeans vermischte. Es war das Lied von den Silberrittern. Ein Heldengesang. Marinel wusste, dass in diesem Moment die Königin das Podium betreten würde, langsam schreitend zu der magischen Melodie, würdevoll und unnahbar. Die silbernen Strähnen im pechschwarzen Haar würden mit dem Mond um die Wette strahlen. Ihre hochgewachsene Gestalt wäre in eines ihrer prächtigen Kleider mit den weiten, flügelgleichen Ärmeln gehüllt. Ihr Ausdruck wäre von jener distanzierten Höflichkeit, die sie stets zur Schau trug und die doch eine Erhabenheit verkörperte, die ihresgleichen suchte. Um das zu wissen, musste Marinel nicht hinsehen. Schließlich hatte sie diesen Moment schon Hunderte Male erlebt – in ihren Träumen und Wunschvorstellungen. Die angehenden Ritter und auch alle anderen Anwesenden würden jetzt auf ein Knie niedergehen und mit gesenkten Köpfen auf das Ende des Liedes warten, während die Königin die blanken Klingen der dargereichten Schwerter mit ihrem Kuss segnete.
» Durch finstre Nacht und gleißend Licht – kein Weg ist uns zu weit «, sang das Mädchen mit ihrer klaren Stimme. » Wenn Unrecht herrscht und Ehre bricht – dann sind wir bereit. «
Marinel erschauerte. Der Klang der Worte schien sich zu manifestieren und als eisige Finger ihren Nacken und die Wirbelsäule hinabzugleiten. Fröstelnd verschränkte sie die Arme vor der Brust und rieb ihre nackten Oberarme. Dabei begann sie leise flüsternd mitzusingen.
» Was sind all die Heldentaten jener dunklen Zeit? Wo Drachen starben, Kameraden, nur eins in ihrem Leid.
Was eins entzweit, was zwei vereint, in Eigennutz vollbracht. Zurück zum Anfang, auferstanden, Silberglanz entfacht … behüten wir die Einigkeit, die Ritter neu erwacht. «
Marinel senkte den Blick. »Die Ritter neu erwacht.«
»Beim nächsten Mal wirst du dort stehen«, sagte Elrohir und drückte ihre Schulter, »was sind schon hundert Jahre?«
»Auch in tausend Jahren werde ich nicht dort stehen.« Sie schüttelte langsam den Kopf und sah an sich hinab. Ein einfaches Hemd von undefinierbarer Farbe, schmutzgrün oder vielleicht auch braun, darüber eine ärmellose Weste, schmucklos, farblos. Eine weiche Lederhose, dunkel, aber auch nicht schwarz, ausgefranst und abgenutzt. Ja, weich war sie. Nach so langer Benutzung war sie weich geworden. Stallkleidung, wie sie Elrohir und alle anderen in Meister Melovins Dienst trugen. Nein, sie unterschied sich in nichts von den anderen. Ihre Stiefel waren löchrig, und längst spürte sie den Sand zwischen ihren Zehen. Ihr Haar war im Nacken mit einem einfachen Band zusammengefasst, damit es ihr bei der Arbeit nicht ins Gesicht fiel. Ihre Hände waren rissig und rau. Und sie roch nach Pferden. Sie war wie Elrohir. Nur dass Elrohir niemals versucht hatte, ein Ritter zu werden. Er hatte seine freie Zeit nicht mit Laufen, Schwertkampf und geistiger Bildung verplempert. Er hatte nie über Bücher gebeugt im Heu gesessen, hatte sich niemals mit einem Knüppel verprügeln lassen. Nein, er liebte seine Pferde, und Marinel liebte die Ritterschaft und alles, wofür sie stand. Und sie war gut gewesen! Sie war so gut gewesen. Doch jetzt war sie wieder wie Elrohir – aber der
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