Elfenmeer: Roman (German Edition)
Pferdenarr hinkte nicht und besaß noch alle Finger. Dazu hatten all die Mühen also geführt. Sie war noch nicht einmal mehr in der Lage, eine Schaufel zu halten.
»Es gibt andere Dinge, die du tun kannst«, unternahm Elrohir einen weiteren Versuch, sie zu trösten. Am liebsten hätte sie ihn weggeschickt, damit er sich die Zeremonie weiter ansah. Aber er würde nicht auf sie hören. Er war so stur. Seit er vor gut hundertfünfzig Jahren nach Lurness gekommen war, lief er ihr wie ein junger Hund hinterher. Damals war er noch ein Kind gewesen, ein Flüchtling, die Eltern tot. Er selbst hatte nur knapp aus dem Sonnental entkommen können. Das Fürstentum war damals von zwei grausamen Brüdern beherrscht worden, die Elrohirs Familie ausgelöscht hatten – wegen eines Verbrechens, das sein Ziehbruder begangen hatte. Jetzt herrschte aber die Nichte der Königin im Sonnental, und das Land erblühte unter ihrer Fürsorge. Jene Fürstin hatte sich sogar die Mühe gemacht, Marinel zu heilen – soweit es in ihrer Macht gestanden hatte, aber …
Marinel wusste nicht, wann sich die Beschützerrollen zwischen ihr und Elrohir umgekehrt hatten. Mittlerweile meinte der junge Elf, sie beschützen zu müssen anstatt andersherum. »Der Schwertmeister kann dich mit der linken Hand weiter unterrichten …«, drang er auf sie ein, doch Marinel schnappte empört nach Luft.
»Mit diesem Bein?«, fuhr sie ihn an, doch Elrohir ignorierte es. »Du kannst lesen und schreiben. Wieso also nicht andere lehren?«
»Mein Leben lang andere auf das vorbereiten, was ich zu erreichen nicht imstande bin?«
»Dann bleib im Stall, Marinel. Bleib bei uns. Ich weiß, dass du deine Arbeit liebst. Du könntest aufsteigen, Zureiterin werden, Pflegerin der königlichen Pferde, Züchterin. Du kannst lernen, mit deiner Hand zurechtzukommen. Dir stehen alle Wege offen.«
Diese Worte versetzten ihr einen Stich. Mit aller Kraft boxtesie ihm gegen die Brust. »Sei still«, zischte sie und hatte Mühe, ein Schreien zu unterdrücken. »Du weißt überhaupt nichts. Du verstehst einfach nicht!«
Elrohir presste die Lippen aufeinander, seine Augen funkelten in der Dunkelheit auf sie hinab. »Nein«, flüsterte er, wobei dieses Wort trotz der leisen Stimme wie ein Brüllen klang. »Ich verstehe dich nicht.«
Seine Hand erschien aus dem Nichts und packte ihr Kinn. Marinel wollte zurückzucken, doch da drehte er ihren Kopf schon in Richtung Zeremonie. »Du willst dort drüben stehen?« Er beugte sich zu ihr hinab, sodass seine Wange an ihrer lag. Mit der freien Hand deutete er zu den schwarzen Silhouetten der Elfen. Ihre Schatten tanzten unheimlich über den Stein des Drachenfelsens, der im rötlichen Licht flackerte. Der Berg war ein Gigant, eine Festung, uneinnehmbar, weder vom Land noch vom Meer aus. Auf dieser Seite führte lediglich eine von Unwissenden nicht auszumachende Tür ins Innere. War diese geschlossen, konnte sie kaum noch entdeckt werden. Durch einen schmalen, von einer Brustwehr geschützten Tunnel ging es dann weiter ins Herz des Felsens, die Burg. Keine Armee könnte dort agieren. Bogenschützen würden den Feind in diesem engen Gefängnis in aller Ruhe niedermachen. Außerdem war die Tür stets gut verschlossen und bewacht. Die Landseite des Drachenfelsens war ebenso raffiniert befestigt. Unzählige Wehrmauern zogen sich bis ganz oben hin über die gesamte Länge des Berges. Manche von ihnen führten sogar um den Fels herum und boten hier Bogenschützen eine gute Position, um feindliche Schiffe in Brand zu setzen. Eine von einer Zugbrücke überspannte Schlucht trennte den Drachenfelsen auch noch vom Landesinneren, und so war es bisher niemandem gelungen, die Festung einzunehmen.
Und Marinel wollte dafür sorgen, dass dies auch so blieb. Siewollte diesen Ort und all seine Bewohner schützen. Sie wollte ein Ritter werden.
»Du willst einer von denen werden?«, fragte Elrohir und deutete zum Podium. »Ein hochmütiger Ritter, der auf andere herabsieht? Wann haben die Ritter schon einmal etwas Heldenhaftes vollbracht, hm? Das alles sind Lieder, Marinel. Du erlebst es doch selbst. Du arbeitest im Stall, du weißt, wie sie auf uns herabsehen und uns herumkommandieren. Da willst du dazugehören?«
Marinel riss ihren Kopf zurück und befreite sich aus seinem Griff. »Ich wäre nicht so«, beharrte sie, auch wenn sie zugeben musste, dass viele der Ritter tatsächlich äußerst arrogant und manche auch gemein waren. Valuar zum Beispiel. »Ich wäre
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