Elfenmeer: Roman (German Edition)
vorzustellen, und doch verstand sie diese Überlegungen. Wenn sie genau darüber nachdachte, war ihr die Magie nicht wichtig. Sie war eine Dunkelelfe und wandte diese Macht nicht an. Sie hatte ohnehin kaum Begabung dafür und verließ sich lieber auf etwas, das sie leichter steuern konnte – wie ihr Schwert. Esteraz hatte es gewusst. Er hatte gesehen, dass Marinel sich nicht gegen diesen Plan stellen würde. Dass Marinel für die Vision der Königin kämpfen würde: eine Welt ohne Magie. Andere mochten die Vorteile noch nicht sehen und mussten langsam an diese Wahrheit herangeführt werden, wieder andere mussten wohl gezwungen werden, doch am Ende wäre die Welt eine bessere. Marinel glaubte daran, und als Esteraz ihr mit aller Leidenschaft für diese neue Welt vom Plan der Königin erzählt hatte, war dies auch zu ihrem Plangeworden. Nur leider wussten die Piraten vom Vorhaben der Königin, und diese magiebesessenen Seefahrer würden alles tun, um es zum Scheitern zu bringen. Sie sahen nicht das Große dahinter, das Gute, die Freiheit.
Ihr Blick fiel erneut auf Valuar. Genauso wie beim Umgang mit dem Schwert bewegte er sich mit einer naturgegebenen Anmut, die ihn über den Boden zu schweben lassen schien. Seine rechte Hand berührte die Rechte seiner Partnerin, sie hielten die Arme hoch und drehten sich umeinander. Die Robe der Elfe wirbelte um ihre Beine und verband sich mit Valuars Umhang, bis die beiden kaum mehr als ein gelb-blauer Schleier waren. Das Spiel der Flöten und Fideln war schnell, und die Trommeln gaben einen rasenden Takt vor, so, wie es in Riniel üblich war. Auch in Lurness waren hin und wieder solche Tänze veranstaltet worden, doch Marinel hatte die Melodien immer nur vom Stall aus gehört, ohne an den Feierlichkeiten teilnehmen zu können. Nur einmal hatte sie eine solche Veranstaltung besucht – jene vor den Ritterprüfungen, ehe sie aufgebrochen waren, um das letzte Hindernis auf ihrem Weg zum königlichen Krieger zu bewältigen. Doch natürlich hatte sie damals genauso wenig getanzt wie heute. Sie war auch nicht gefragt worden, schließlich war sie immer noch nur das Stallmädchen gewesen und keine wahre Kameradin. Es kam selten vor, dass nicht dem Adel zugehörige Elfen die Ausbildung zum Ritter absolvierten, denn kaum eine Familie konnte es sich erlauben, eine wertvolle Arbeitskraft fortzusenden, um einem Traum hinterherzujagen. Valuar hatte schon damals viel und gerne getanzt und es war Marinel so erschienen, als werfe er ihr immer wieder Blicke zu. Vielleicht hatte er Mitleid mit ihr gehabt, weil sie allein dagesessen hatte, vielleicht hatte er sich aber auch nur überlegt, wie er sie aus dem Weg räumen konnte. Noch immer war ihr völlig unverständlich,wie er ihr das hatte antun können. Und wieso hatte er sie dann aus diesem Loch herausgeholt? Um vor dem Befehlshaber gut dazustehen? Um seine magischen Fähigkeiten zu präsentieren? Schließlich hatte er sich ein weiteres Element erschlossen.
Esteraz hatte recht. Valuar würde die Pläne der Königin nicht nachvollziehen können, und nach seiner Tat bei der Ritterprüfung glaubte Marinel nicht mehr, dass er auch nur einen Funken Ehre im Leib hatte. Früher hätte sie angenommen, zumindest sein Ehrgefühl würde ihn treu zur Königin stehen lassen, aber so einfältig war sie nicht mehr. Valuar war ein Lichtelf und somit hochbegabt, was Magie betraf. Zudem hatte er neulich einen großen Meilenstein in seiner magischen Laufbahn erreicht, und den würde er sich bestimmt nicht nehmen lassen. Fürst Averon und Esteraz waren zwar ebenfalls Lichtelfen, doch sie sahen den Schaden, den die Magie bringen konnte, nicht den Nutzen. Valuar, der so angestrengt versuchte, in Nevliins Fußstapfen zu treten, ließe sich diese Waffe bestimmt nicht wegnehmen. Er würde früher oder später zum Verräter werden, so, wie er ihre Freundschaft verraten hatte.
Ihr Blick haftete auf ihm. Sie beobachtete, wie sein weißgoldenes Haar bei den schnellen Drehungen umherwehte und seine dunklen Augen in das Gesicht seiner Partnerin blickten. Es war Marinel unbegreiflich, wie ihn all die Frauen mit solcher Schamlosigkeit anhimmeln konnten, genauso wie Nevliin einst. Marinel hatte Nevliin für sein Können bewundert, für seine Aufrichtigkeit, sein Ehrgefühl, das ihn zu einem wahren Ritter gemacht hatte. Valuar war ihr früher als würdiger Nachfolger erschienen, denn auch er hatte sich der Ehrlichkeit verschrieben und war stets für Schwächere eingestanden.
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