Elfenmeer: Roman (German Edition)
drehen und seinen Angreifer anzusehen, doch da riss der Mann, der zuvor nach dem Weg gefragt hatte, plötzlich den Gürtel zurück und alles verschwamm in einem blutroten Schleier.
Marinel entfuhr die angehaltene Luft, und obwohl sie die Augen zusammenkneifen wollte, starrte sie immer noch auf den Körper, der in sich zusammensank, und das Blut, das den Sand in den Schatten fast schwarz färbte. Einen Moment lang war sie wie erstarrt, und einzig Leere herrschte in ihrem Kopf. Sie verstand nichts, doch das musste sie auch nicht. Jetzt zählte nur das bloße Überleben, und so riss sie mit der Linken ihr Schwert aus der Scheide und richtete es auf den fremden Elfen. Ihre Hand zitterte und sie hatte Mühe, die Klinge gerade zu halten, doch sie durfte sich keine Schwäche erlauben. Ihr Wissen darum, wie unsicher sie im Kampf mit der Linken war, machte sie aber nicht unbedingt selbstbewusster.
»Marinel …« Es war Esteraz’ Stimme, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er sich die ganze Zeit über nicht geregt hatte. Sie wagte es aber auch nicht, in seine Richtung zu sehen, ihr Blick haftete auf ihrem Gegenüber. Auf dem Mann, der gerade seinen Begleiter getötet hatte – skrupellos und ohne mit der Wimper zu zucken.
Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt, und sie blickte den Mann weiterhin an, als er seine Hände hob und die Kapuze zurückschlug.
Helles Haar kam zum Vorschein, das in wenigen stacheligen Streifen von der Stirn in den Nacken führte, ansonsten war sein Kopf kahlgeschoren. Ein ungewohnter Anblick, denn Elfen trugen ihr Haar meist mit Stolz. Oder … ihr Blick fiel aufseine rundlichen Ohren, und beinahe wäre ihr das Schwert aus der Hand gefallen. Er war kein richtiger Elf!
»Es ließ sich leider nicht vermeiden«, ergriff der Fremde plötzlich das Wort, während er seine mandelförmigen Augen auf Esteraz richtete. »Nach den letzten Hinrichtungen bestanden sie darauf, dass ich jemanden mitnehme, und wenn ich mich geweigert hätte, wären sie misstrauisch geworden.«
»Nun, Ihr habt das Problem ja aus dem Weg geräumt«, meinte Esteraz mit einem Blick auf den toten Elfen. »Ein Pirat weniger.«
»Er war Euer Kamerad.« Marinel wurde erst bewusst, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte, als die beiden Männer sich ihr zuwandten. Langsam ließ sie das Schwert sinken, denn augenscheinlich handelte es sich bei diesem sonderbaren Halbelfen um den Informanten und nicht um einen Angreifer. »Ihr seid ihm in den Rücken gefallen.«
Der Blick des Mannes wanderte über sie hinweg und verharrte dann bei ihrer rechten Hand. Seine ohnehin schon schmalen Lippen presste er zu einem Strich zusammen, aber es war kein Mitleid, das sie in seinen Augen zu sehen meinte. Eher Bitterkeit, die von den Furchen um seinen Mund noch verdeutlicht wurde. Als er den Blick wieder hob und ihr direkt in die Augen sah, vergaß sie den Wunsch, ihre Hand hinter ihrem Rücken zu verbergen. Er sah sie so eindringlich an, als wollte er die tiefsten Geheimnisse ihrer Seele ergründen. Doch dies rief in Marinel eher den Drang hervor, sich zu verstecken. Etwas Unangenehmes, Forsches ging von ihm aus, aber Marinel vermied es, ihm ihr Unbehagen zu zeigen. Stattdessen hielt sie seinem Blick stand. Er legte den Kopf ein wenig schief, und schließlich lächelte er, fast schon erstaunt.
»Wie Euer Freund schon sagte«, meinte er mit geschmeidiger Stimme, die tief war und doch nichts Raues an sich hatte,so wie bei Esteraz. »Dieser Mann war ein Pirat. Er hat den Tod verdient und wäre hingerichtet worden, wenn er diese Straße betreten hätte. Er überfiel unschuldige Händler, stahl ihre Ladung, versenkte ihre Schiffe und tötete Elfen. Dieser Mann entführte unsere Königin.« Seine Lider senkten sich flüchtig, als er auf seinen toten Kameraden blickte. »Er hat den Tod verdient.«
»Und Ihr?« Marinel schob ihr Kinn ein wenig vor und straffte die Schultern. »Ihr seid doch ebenfalls ein Pirat.«
»Das habe ich mir nicht ausgesucht. Ich bin auf ein Piratenschiff gebracht worden, als ich noch ein Kind war, und hatte keine Möglichkeit, einen anderen Weg zu gehen. Seither setze ich alles daran, mich auf die Seite des Rechts zu stellen.«
Marinel öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber plötzlich war ihr Kopf vollkommen leer. Solch direkte und ehrliche Erwiderung hatte sie nicht erwartet, sondern eher Ausflüchte. Sein beständiges Starren machte es ihr auch nicht leichter, klar zu denken. Er sah ihr stets geradewegs in
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