Elfenmeer: Roman (German Edition)
könnte, ließ sich nicht ignorieren. Schließlich spürte sie den Beweis mit jedem Schritt, spürte den Schmerz. Doch das sollte sie nicht kümmern, solange sie in der Lage war zu kämpfen. Sie musste lernen, ihr Gleichgewicht zurückzuerlangen, und vor allem musste sie lernen, sicherer mit dem Schwert in der Linken zu werden. Es war unmöglich, den Griff mit nur drei Fingern festzuhalten – mit einem einfachen Hieb würde man es ihr aus der Hand schlagen können. Vielleicht sollte sie gehen und sich im Schwertkampf üben. Ihr Fehlen würde in diesem Durcheinander bestimmt nicht auffallen. Außer einem vielleicht.
Ihr Blick glitt zu Valuar, der auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes auf der Treppe zu den Arkadengängen saß und auf seiner Flöte spielte. Eine Traube von Damen sammelte sich um ihn, und auch wenn Marinel sein Lied aus der Entfernung nicht hören konnte, war an den entzückten Gesichtern der Zuhörerinnen abzulesen, dass es Anklang fand. Üppige Grünpflanzen mit weißen Blüten schlangen sich um das Geländer und verdeckten großteils den Blick auf ihn, aber Marinel erkannte, dass er dem Anlass entsprechend seine Silberrüstung trug und sein Haar offen bis zur Brust herabfiel. Zweifelsohne waren es sein Name und seine äußere Ähnlichkeit mit Nevliin, die die Damen zu ihm lockten, doch Valuar schien das Publikum zu genießen. Er erhob sich von seinem Platz und steckte die Flöte in seinen Gürtel. Dann lachte er über irgendetwas, das eine der Frauen zu ihm sagte, und verneigte sich vor ihr. Mit selbstzufriedener Miene führte er die Elfe in der sonnengelbenRobe in die Mitte des Hofes und fiel in den Tanz mit ein.
Nichtswisser, dachte Marinel bei deren Anblick. Niemand von ihnen ahnte, welch ein Krieg im Verborgenen ausgetragen wurde. Bis vor kurzem war auch Marinel ahnungslos gewesen, doch jetzt sah sie alles mit anderen Augen. Das Lachen, der Tanz, die Gesänge … all das erschien ihr blass und aufgesetzt. Waren diese Leute tatsächlich so glücklich, wie es den Anschein hatte? Waren sie bereits so taub, was ihre Gefühle betraf, dass die letzten Kriege sie nicht im mindesten getroffen hatten? Es konnte doch nicht sein, dass Elfen mit der Zeit tatsächlich derart kaltherzig und leer wurden.
Marinel war zwar jung für eine Elfe, hatte aber bereits zwei Kriege miterlebt. Schlachten und Ereignisse, die Narben hinterlassen hatten. Oft hatte sie sich gefragt, was getan werden musste, um solche Gräuel zukünftig zu vermeiden. Einst hatte Nevliin von Valdoreen zu ihr gesagt: »Noch ist deine Zeit nicht gekommen. Jetzt ist es an mir, für eine Welt zu kämpfen, in der du niemals Ritter werden musst.« Nun war Nevliin tot, und Ritter wurden mehr gebraucht denn je. Die Königin war entführt worden! Ein Kampf folgte auf den nächsten, und das Leid schien stets über ihnen zu schweben, egal wie glücklich die Elfen auch zu sein meinten. Marinel hatte ein Ritter werden wollen, um diejenigen zu beschützen, die es nicht selbst tun konnten, und Nevliin hatte gehofft, dass dies nicht mehr notwendig sein würde. Doch er hatte falschgelegen. Marinel befand sich in Riniel, um in See zu stechen und Piraten zu vernichten. Piraten, die für die Magie kämpften. Jetzt wusste sie, worum es sich in diesem Krieg drehte. Denn die Königin hatte einen Weg gefunden, um zukünftige Kriege zu vermeiden. Einen radikalen Weg, aber womöglich auch einen wirksamen. Esteraz und Arn – der Halbelf – hatten ihralles erklärt. Kämpfe würde es immer geben, aber die letzten Kriege waren von unbeschreiblicher Grausamkeit gewesen. Ein magischer Würfel, der Seelen vernichtete, ein Drachenherz, das ein ganzes Volk versklaven konnte. Magier, die ihre Macht nutzten und sich über jedes Gesetz erhoben. Magier, die kaum zu stoppen waren. Schon früher hatte die Magie Kriege ausgelöst: die Teilung Elvions in Licht- und Schattenreich und die magische Erschaffung der Drachenelfen. All das war in weiteren Kriegen rückgängig gemacht worden, aber welche Auseinandersetzungen würden nun folgen? Wäre die Welt ohne Magie nicht sehr viel sicherer? Wäre das Gesetz nicht so viel leichter zu schützen? Grausame Seelen würde es immer geben, doch ohne Magie konnten sie niemals so mächtig werden, dass sie ganz Elvion schadeten. Sie könnten nie so stark werden, dass sie Armeen in die Schlacht führten.
Marinel war von diesen Worten erschüttert und beflügelt zugleich gewesen. Es fiel ihr schwer, sich eine elfische Welt ohne Magie
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