Elfenmeer: Roman (German Edition)
den schlimmsten Schmutz von den Beinen wusch, und sah gerade noch den stets in Reimen sprechenden Kobold davonhuschen. Ohne auf sie zu warten, hopste er die Treppe zu jenem erhöhten Deck im hintersten Bereich des Schiffes hoch, auf dem sich das Steuerrad befand. Liadan hatte bemerkt, dass sich die Kapitäne meist dort aufhielten, und auch Liadan war angewiesen worden, stets auf diesem Deck zu verharren. Doch sie ignorierte die Anweisungen der Piraten und bewegte sich so frei, wie es auf einem Schiff eben möglich war. Sie wusch auch erst das arme Menschenmädchen fertig, ehe sie sich aus ihrer knienden Position erhob und ihre Kleider glattstrich. Ihr Blick glitt über das Oberdeck, auf dem sich die übel zugerichteten Menschen aufhielten. Ein Anblick, der ihr das Herz schwer werden ließ, denn sie wünschte niemandem solches Leid. Auf gewisse Weise verstand sie die Beweggründe der Piraten, die die Befreiung der Menschen als noble Tat ansahen. Doch Fürst Averon von Riniel war nicht gewillt, auf seine menschlichen Arbeiter zu verzichten, und Liadan konnte es sich nicht leisten, einen Fürsten Elvions gegen sich aufzubringen. Das Einziehen aller Schlüssel zu den Weltentoren und das Verbot des Menschenhandels hatten den Rinieler Fürsten zutiefst erzürnt, und einzig durch dieses Zugeständnis konnte sie sich seiner Treue versichern. Die Vergangenheithatte gezeigt, dass ein einziger aufgebrachter Fürst ausreichte, um verheerenden Schaden anzurichten, und so musste sie Kompromisse schließen. Zudem waren die Menschen beim Kristallabbau unabkömmlich. Kaum ein Elf begab sich freiwillig in einen Schlund voller magieunterdrückenden Gesteins. Zu früh hätte sich herumgesprochen, was die Königin Elvions plante, und ihr Vorhaben wäre zum Scheitern verurteilt gewesen. Daher brauchte sie die Menschen. Die Arbeit in den versteckten Minen war gefährlich, und Liadan musste sich auf die Fruchtbarkeit der Menschen verlassen. Fürst Averon lieferte ihr stets neue, und auch wenn diese armen Kreaturen ihr Mitgefühl erweckten, so war es doch wichtiger, die Elfen Elvions zu schützen. Sie war die Königin der Elfen und musste sich um ihr Volk kümmern. Solange Elfen im Krieg um Macht und Land starben, konnte sie sich nicht um diese Minderheit sorgen.
Ein Seufzer entfuhr ihr, als sie auf all die leidenden Kinder blickte. Ihre Kehle wurde eng, doch das sollte sie nicht in ihrer Entscheidung beeinflussen. Eine Königin durfte sich nicht von ihren Gefühlen leiten lassen, so sehr sie der Anblick der Kinder auch traurig stimmte. Liadan wusste gar nicht mehr, wann sie zum letzten Mal ein unschuldiges Lächeln beobachtet hatte. Wenn sie den Menschen nur helfen und gleichzeitig Elvion vor weiterem Schaden bewahren könnte …
Nein, sagte sie sich, drehte auf dem Absatz um und nahm die Treppe zum oberen Deck. Zuerst sind die Elfen an der Reihe, und dann kommt alles andere.
Zu ihrer Überraschung wartete der Kobold vor dem Eingang, der in den Bauch des Schiffes hinabführte, und so folgte sie ihm bis zur Kapitänskajüte. Sie wusste, dass die anderen Kapitäne oben waren, um sich um die Verwundeten zu kümmern, und Liadan fragte sich, ob die Menschenfrau den Kristallwohl bei ihrem geliebten Feuerprinzen anwenden würde. Nayla hatte angespannt gewirkt, als sie vorhin mit ihrem Geliebten an ihr vorbeigeschritten war, und vielleicht würde sich diese Frau doch noch als nützlich erweisen.
Ein donnerndes Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Wer hätte gedacht, dass eine kleine Koboldfaust derartigen Lärm verursachen konnte? Der Kobold öffnete die Tür und spähte ins Zwielicht des dahinterliegenden Raumes. »Hier ist die Königin, wollt Ihr, dass ich bei dem Gespräch anwesend bin?«
Eine dumpfe Antwort erscholl, woraufhin der Kobold sich an den Hut fasste, sich kurz verneigte und dann in den dunklen Gängen des Schiffes verschwand. Diesmal sollte sie also allein mit dem Korallenfürsten sprechen.
Liadan atmete tief durch. Zweimal hatte sie sich bereits zu Auseinandersetzungen in dieser Kabine eingefunden, doch bisher hatte stets der Kobold gesprochen. Eine zermürbende Flut von Reimen war auf sie niedergegangen, aber mittlerweile wusste sie, dass der Korallenfürst sehr wohl die elfische Sprache beherrschte. Sie hatte ihn bereits mehrmals sprechen gehört, doch schien er Worte nur in ganz besonderen Situationen zu benutzen.
Es hatte keinen Sinn, die Angelegenheit weiter hinauszuschieben, und so straffte Liadan die Schultern, hob den
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