Elfenmeer: Roman (German Edition)
Eltern hatte sie nie gekannt, und da sie in Lurness gefunden worden war, war sie stets davon ausgegangen, auf die östliche Seite der Barriere zu gehören. Doch es war falsch, alles falsch. Wer war sie?
»Nicht aufgeben, Marinel. Mach weiter.«
Erneut stieß Marinel das stärker werdende Wasser von sich, und einen Moment lang meinte sie, den Korallenfürsten durch die Welle hindurch auf seinem Schiff zu erkennen. Die Magie hatte ihr Bewusstsein erweitert, und sie sah Dinge durch ihre magisch veränderten Augen, die sie nie für möglich gehalten hätte. Dort drüben auf dem Bug stand er, seine Gesichtszüge verhärtet, sein gesamter Körper angespannt, kämpfend. Seine magischen Silberaugen starrten sie an. Marinel meinte, seine Fassungslosigkeit spüren zu können. Dieselbe Fassungslosigkeit, die sie selbst empfand. Ihr Überlebensinstinkt verlieh ihr ungeahnte Kräfte, und jetzt, da die Kisten mit dem Schrot fort waren, hatte sie einen Vorteil. Das Schiff des Korallenfürsten war mit Schrot gespickt, nicht genug, um seine Macht zum Erlöschen zu bringen, aber ausreichend, um ihn etwas zu schwächen. Genauso den Feuerprinzen. Piraten feuerten die beiden an, und doch war Marinel stärker – noch. Im Moment hielt sie die beiden zurück, und sie konnte nur hoffen, dass Esteraz sie rechtzeitig aus der Gefahr befreien würde. Doch womöglich wurde er ferngehalten, womöglich ließen ihn dieselben Wellen nicht weiter, welche die Hammer von der Flotte fortgetrieben hatten. Und wenn dies der Fall war, so würde sie unterliegen! Sie konnte der vereinten Macht des Feuerprinzen und des Korallenfürsten nicht ewig standhalten! Es war ihr doch nicht einmal möglich, richtig zu begreifen, wie sie dies im Moment schaffte.
Ihr ganzer Körper begann zu zittern, und ihre Arme wurden immer schwächer. Es war ein immenser Kraftakt, sie hochzuhalten, das Gewicht der Welle zu tragen. Immer wieder biss sie die Zähne zusammen und schob die Klaue von sich, doch wie oft würde sie das noch schaffen?
»Sieh zu, dass der Krüppel durchhält«, erklang plötzlich dieStimme des Kapitäns, und Marinels Herz fühlte sich mit einem Mal heiß an, als wäre es eine glühende Kohle in ihrer Brust. »Ich will nicht mein Schiff verlieren, nur weil ihr beide zu sentimental wart, um die Freiheit zu vernichten. Das habt ihr jetzt davon.«
»Verschwindet«, hörte sie Valuar knurren. »Sofort.«
»Valuar …« Dies schien ihr eigenes Wimmern zu sein, auch wenn sie nicht wusste, ob sie diesen Klagelaut nur in ihren Gedanken hörte.
»Esteraz ist gleich hier.« Plötzlich trat Valuar hinter sie und umschlang ihren Oberkörper. Seine Hände schlossen sich um ihre Arme, sodass es ihr leichter fiel, das Gewicht des Orkans zu tragen. Auch spürte sie ein kühles Prickeln, das von ihm auf sie überfloss.
»Deine Magie der Luft«, sagte er und verstärkte seinen Griff, »meine Magie der Erde und des Wassers. Wir werden es schaffen.«
Marinel presste die Welle ein Stück weiter zurück. Gemeinsam mit Valuar schleuderte sie sie davon, aber nicht weit genug, sie kam sofort wieder zurück. Sie gewannen lediglich etwas Zeit. Zeit, um Esteraz mit der Kristallkönigin hierherzuholen. Vielleicht würde sie es doch schaffen! Mit Valuar zusammen!
Wir sind eine Einheit, und z usammen sind wir stärker .
Du hast mich fallen lassen.
Nach Luft schnappend fuhr sie zurück. Sie spürte, wie sie fiel, blickte in Valuars dunkle Augen, als er seine Finger löste … Du hast mich fallen lassen .
Das brennende Wasser rauschte auf sie zu, teilte den Orkan, der in grauen Schlieren davonzog. Ein Schrei erscholl aus ihrer Kehle, gemeinsam mit Valuars Ruf: »Marinel! Nein!«
Die Faust donnerte auf das Schiff herab. Marinel spürte dieMagie aus jeder Faser ihres Körpers strömen und wie sich die Luft wieder zu drehen begann. Plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen. Sie wurde fortgerissen, in die Lüfte gehoben und herumgewirbelt. Sie konnte nichts als Schemen erkennen, die Luft wurde aus ihren Lungen gepresst, und plötzlich stand sie still.
Unter ihr lagen die Schiffe als winzige Punkte in einer blauen Ewigkeit. Ein sinkendes Wrack, letzte züngelnde Flammen, die zischend erstarben.
Marinel starrte auf dieses Bild. Sie schwebte in der Luft, lag über dem Orkan, der aus ihr herausfloss. Sie schwebte in der Luft! Sie hatte sich gerettet und das Schiff und alle darauf ihrem Schicksal überlassen.
»Marinel!«
Ihre Hand hielt etwas fest. Valuar!
Ein leiser Schrei
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