Elfenmeer: Roman (German Edition)
entfernten sich, und da bemerkte Marinel, dass der Korallenfürst die Hammer von der restlichen Flotte separiert hatte, um die Entfernung zur Kristallkönigin zu vergrößern. Die zitternden Wellen trugen das Schiff immer weiter fort. Näher zur brennenden Faust. Sie rollte ihnen entgegen, beugte sich über sie, war bereit, das gesamte Schiff zu zermalmen. Marinel starrte auf die züngelnden Flammen, deren Hitze ihr entgegenschlug, und spürte das eisige Wasser, das auf sie niedertropfte. Hitze und Kälte, Feuer und Wasser. Ein Tod auf zweierlei Arten – verbrennen und ertrinken.
Ich will nicht sterben, durchfuhr es Marinel, und plötzlich raste die Faust auf sie hernieder. Instinktiv riss sie die Arme in die Höhe, um sich zu schützen. Ein Zittern fuhr durch ihren Körper, so als wäre eine Windböe durch ihre Adern getobt, die alles in ihr zum Schwingen brachte. Es war ein gutes Gefühl, mächtig und stark, und als sie sich dieses Gedankens bewusst wurde, begriff sie, dass sie noch lebte.
»Bei den Sternen.« Valuars Stimme klang ungläubig und voller Ehrfurcht, und als Marinel aufblickte, sah sie ihre Händedurch einen grauen Schleier. Sie waren nach oben gestreckt, die Finger gespreizt. Über ihnen schraubte sich eine Windhose der brennenden Welle entgegen und stoppte sie. Über das Schiff gebeugt verharrte das Feuerwasser und gelangte nicht an dem Wirbelsturm vorbei, der aus Marinels Händen zu entstehen schien. Was tat sie da?
»Nicht aufhören.« Valuar schien ihren erschrockenen Blick bemerkt zu haben, denn er legte seine Hand auf ihre Schulter und drückte sie. »Was auch immer du tust, Marinel, lass nicht los!«
Marinel rang um Atem, es schien ihr, als quetschten eiserne Fesseln ihre Brust zusammen. Sie keuchte und japste nach Luft, während sie mit aller Kraft gegen die Welle drückte.
»Ich kann nicht …« Die Welle kam näher, es war ihr, als versuche sie einen Berg mit bloßer Willenskraft zu verrücken. Ein stechender Schmerz breitete sich in ihrem Kopf aus. Ein beständiges Pochen hinter ihren Augen ließ sie aufstöhnen. »Valuar, ich kann nicht …«
»Doch, du kannst.« Am Rande bemerkte sie, wie er sich den Umstehenden zuwandte und rief, dass alle Kisten mit Schrot über Bord geworfen werden mussten. Dem geschäftigen Lärmen nach zu schließen, kam die Mannschaft seiner Aufforderung sofort nach. »Die Kristalle sind gleich weg, Marinel, halte durch. Wenn sie erst einmal über Bord sind, wirst du stärker sein. Halte nur etwas länger durch, hast du verstanden? Du kannst uns retten. Esteraz kommt näher. Er wird die Welle mit der Kristallkönigin brechen. Die anderen Magier an Bord kämpfen gegen die Strömung, um uns näher an sie heranzubringen.«
Marinel wollte den Kopf drehen, um nachzusehen, wie weit die Rettung entfernt war, doch kaum hatte sie sich ein wenig bewegt, drückte Valuar gegen ihre Schulter. »Nicht hinsehen,Marinel. Konzentriere dich auf deine Macht. Lasse sie durch dich hindurchfließen. Alles andere ist unwichtig. Du musst nur etwas länger durchhalten. Du bist stärker als sie.«
»Nein.« Marinel spürte mit jedem schmerzenden Herzschlag, wie sie schwächer wurde. Sie verstand ja noch nicht einmal, woher dieser plötzliche Wirbelsturm kam. Den konnte doch unmöglich sie, Marinel, erschaffen haben! »Ich bin … eine Dunkelelfe«, keuchte sie und kämpfte gegen das Gefühl an, dass ihre Finger jeden Moment durch die Kraft des Orkans brechen würden. »Unsere Magie ist … schwach.«
»Deine ist es nicht, Marinel.« Valuars Stimme klang drängend. »Du weißt nicht, wer deine Eltern waren. Marinel, du bist eine Lichtelfe!«
Marinel starrte auf den Orkan über sich, die wirbelnde Luft, in deren Herzen sie sich befand, und begriff erst jetzt wirklich, dass sie gerade Magie ausübte. Sie war dem Element der Luft zugehörig, und sie nutzte es. Sie verband sich mit ihm, wurde eins damit und nährte ihre Macht. Sie war eine Lichtelfe.
Was dies bedeutete, darüber konnte sie im Moment nicht nachdenken. Stattdessen schob sie ihre Hände noch etwas höher, warf die Welle mit aller Kraft ein Stück zurück und erfreute sich am Anblick des Sturms, der sich fauchend gegen das Wasser stemmte. Es war ein Kampf der Elemente: Luft gegen Wasser und Feuer, und Marinel spürte eine Kraft in sich, die sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gedacht, sie wäre eine Dunkelelfe, magisch verkrüppelt, so, wie ihr Körper nicht mehr vollkommen war. Ihre
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