Elfennacht 01. Die siebte Tochter
ich so dumm frage«, sagte Anita. »Aber hast du gerade wirklich verstanden, was der Hund gesagt hat?«
»Fürwahr«, sagte Cordelia. »Er hat mir erzählt, dass ihn Will-o’-the-wisp und Fletch dazu angestachelt hätte n – er gibt immer anderen die Schuld für seine Missetaten.« Sie lächelte. »Dass ich die Sprache aller Tiere verstehen kann, ist meine spezielle Gabe«, fügte sie hinzu.
Anita starrte sie an. Ihr fiel nichts ein, was sie darauf hätte erwidern können. Welche weiteren Überraschungen hielt diese erstaunliche Traumwelt wohl noch für sie bereit?
Sie gingen weiter und jetzt stieg der Weg durch die Wiesen in sanftem Schwung an. Es dauerte nicht lange, da hatten sie die Menagerie und die dazugehörigen Gebäude hinter sich gelassen. Anita drehte sich um, schirmte mit der Hand die Augen vor der Sonne ab und warf einen Blick zurück zum Palast. Und wie sie da so stand, den Wind in den Haaren, den Geruch nach Hunden und Gras in der Nase und das weite, offene Land des Elfenreichs im Rücken, wurde sie mit einem Mal von tiefer Zufriedenheit und einem Gefühl der Zugehörigkeit überwältigt.
Sie wandte sich an Cordelia, die ein kleines Stück entfernt neben einigen Hunden den Hang hinauflief.
»Es ist meine Bestimmung, hier zu sein!«, rief sie begeistert ihrer Schwester zu. »Gabriel hatte Recht! Das ist mein Zuhaus e …«
In diesem Augenblick begann der Boden unter ihren Füßen zu brodeln und die Welt geriet ins Wanken. Die Wiese, Bäume, Hügel und der Himmel lösten sich vor ihren Augen auf. Wind toste um sie herum und ihr wurde so schwindlig, dass sie das Gleichgewicht verlor und taumelte.
»Nein!«
Das Elfenreich bebte unter ihren Füßen und mit einem Mal hörte sie lauten Verkehrslärm und unter ihren Füßen befand sich harter Asphalt.
Sie stand mitten auf einer stark befahrenen Straße zwischen lauter Fahrzeugen, die wilde Ausweichmanöver vollführten, um sie nicht zu erwischen. Ein Hupen ertönte und der Fahrer eines weißen Lieferwagens schrie sie wütend durch sein offenes Fenster an.
Anita blickte sich verzweifelt um, sie war vollkommen desorientiert und panisch. Wieder ertönte ohrenbetäubendes Hupen, diesmal hinter ihr, und sie wirbelte herum. Ein Bus kam geradewegs auf sie zu. Der Fahrer starrte sie entsetzt an und riss das Steuerrad herum. Doch es war zu spä t – der Bus fuhr zu schnell. Es gab keine Möglichkeit, ihr auszuweichen.
Instinktiv hob Anita die Arme, um ihren Kopf zu schützen.
Soeben war sie aus ihrem Traum erwacht: Anscheinend war sie in einer Art Blackout aus dem Krankenhaus spazier t – und gerade noch zu Bewusstsein gekommen, bevor sie überfahren wurde.
VIII
D er Zusammenstoß fühlte sich so an, als würde Anita gegen eine heranrasende Wand pralle n – der Schmerz schien sie zu zerreißen. Sie schrie auf. Dann wurde es dunkel um sie.
Sie spürte, wie sie sich überschlug, und noch während des Sturzes sah sie unter sich ein fahles Licht. Es kam rasend schnell näher und in diesem bläulichen Licht war ein Gesicht zu erkennen.
Anita kehrte mit einer Wucht ins Elfenreich zurück, die ihr den Atem nahm. Sie stand wieder auf dem grasbewachsenen Hügel, zahlreiche Hunde liefen ihr um die Beine herum und Cordelia starrte ihr sorgenvoll ins Gesicht. »Tania? Was ist los?«
Anita war abwechselnd heiß und kalt. Sie sackte zusammen und sank auf die Erde.
Cordelia kniete neben ihr. »Soll ich Hopie holen?«
»Nein«, brachte Anita krächzend hervor. »Es ist alles in Ordnung. Mir geht’s gut.« Sie sah Cordelia ins Gesicht. »War ich verschwunden?«
»Verschwunden? Das weiß ich nicht.« Cordelia befühlte Anitas Stirn. »Ich war mit den Hunden beschäftigt. Ich habe mich erst zu dir umgedreht, als ich deinen Schrei hörte. Du sahst aus, als wäre etwas Entsetzliches geschehen. Was ist passiert?«
Anita wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und setzte sich auf. »Das ist schwer zu erklären«, sagte sie. Langsam ließ zwar das Zittern nach, aber ihre Hände und Füße kribbelten. Obwohl ihr Kopf dröhnte, lächelte sie schwach. »Hilf mir bitte auf.«
Cordelia reichte ihr die Hand und Anita stand auf. Sie atmete tief durch.
»Ich würde gern wissen, was dich plagt«, sagte Cordelia mit ernster Stimme.
»Du würdest mir nicht glauben, auch wenn ich es dir erzählte«, warnte Anita sie.
Cordelia runzelte die Stirn. »Wenn du mir die Wahrheit sagst, werde ich dir glauben.« Sie zeigte auf eine grasbewachsene Anhöhe, die von einem
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