Elfennacht 01. Die siebte Tochter
leise.
Rathina lächelte sie mitfühlend an. »Und wie willst du das anstellen?«, fragte sie. »Willst du einfach ins Verlies marschieren und das Bernsteingefängnis mit bloßer Willenskraft zerstören?« Sie schüttelte den Kopf. »Versteh doch, Anita: Das Bernsteingefängnis kann nur von jenen geöffnet werden, die die Mystischen Künste beherrschen. Glaub mir, Anita, wenn ich dir sage, dass es im ganzen Elfenreich keine einzige Macht gibt, mit deren Hilfe du die Fesseln des Bernsteingefängnisses lösen könntest. Die einzige Möglichkeit, Edric zu helfen, ist es, nach Hause zurückzukehren.«
Tania starrte ihre Schwester lange an. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie Edric nicht im Stich lassen konnte, doch Rathinas Worte ergaben einen Sinn. Und was konnte sie schon groß tun? Wenn sie bliebe, würde Gabriel sie zwingen, ihn zu heiraten. Wenn sie ginge, würde sie Edric für immer verlieren.
Plötzlich fiel ihr etwas ein.
»Du hast gerade gesagt, dass es im ganzen Elfenreich nichts gibt, womit ich das Bernsteingefängnis aufbrechen kann, oder?«
»Fürwahr«, sagte Rathina. »Es ist vollkommen nutzlos, es zu probieren.«
»Nichts im Elfenreich!«, wiederholte Tania. »Aber wie steht es mit der Welt der Sterblichen? Wenn ich mich nur erinnern könnte, wie man zwischen den Welten hin- und herwandelt. Wenn ich wüsste was das Gefängnis ausbrechen kann, könnte ich es aus London mitbringen.« Rathina war deutlich anzusehen, dass sie nicht begriff.
»Isenmort!«, rief Tania. »Sancha hat mir erzählt, dass Isenmort hier wirklich gefährlich ist. Wenn ich etwas aus Metall mitbringe, könnte es mächtig genug sein, um ein Bernsteingefängnis aufzubrechen!«
Rathina schauderte. »Aber Isenmort bedeutet Tod«, sagte sie. »Du kannst doch nicht etwas derart Gefährliches in dieses Reich bringe n – das wäre unser Verhängnis!«
»Ich werde so vorsichtig wie möglich vorgehen«, sagte Tania. »Aber ich muss es versuchen. Und du hast Recht«, fuhr sie fort. »Ich sollte meine Kraft nutzen, um das Elfenreich zu verlasse n – jedoch nur, um wiederzukommen.« Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge, um sich zu beruhigen. »Das schaffe ich«, sagte sie sich. »Ich weiß, dass ich es kann.« Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf zu Haus e – auf ihre Mutter und ihren Vater, auf ihr Heim. Auf ihr richtige s – nein, ihr andere s – Zimmer. Während sie sich dies alles so lebhaft wie möglich vorstellte, ging sie mit ausgestreckten Armen vorwärts.
Aber kein Lüftchen regte sich und der Boden schmolz nicht unter ihren Füßen.
Sie öffnete die Augen: Sie befand sich noch immer im Elfenreich.
Ihre Schwester musterte sie schweigend.
»Hilf mir, Rathina«, bat Tania. «Sag mir, was ich in jener Nacht gemacht habe. Wie bin ich in die Welt der Sterblichen gelangt?”
«Das ist lange her”, murmelte Rathina. «Gib mir einen Moment, mich zu erinnern.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hände.
Die Zeit verstrich.
»Rathina, bitte?«
Rathina hob den Kopf. »Glaub mir, ich will dir wirklich helfen.« Sie holte tief Luft. »Es schlug gerade Mitternacht«, sagte sie und starrte mit geistesabwesendem Blick vor sich. »Ich saß auf deinem Bett. Du standest dort drüben mit dem Rücken an der Wand.« Sie deutete auf die Stelle, wo der Schrank stand. »Du bist auf mich zugegangen und plötzlich sah die Luft aus wie Wasser und es klang, als würde sich in der Ferne ein Wind erhebe n – und dann warst du verschwunden.«
»Ich bin einfach auf dich zugegangen?«, fragte Tania nach. »So einfach war das?«
»Daran erinnere ich mich zumindest.«
»Okay, lass es uns versuchen.« Tania stellte sich mit dem Rücken vor den Schrank. Wieder dachte sie ganz fest an ihr anderes Zuhause: An Mum und Dad, an Jade und ihre Clique, an die Schule und an Romeo und Julia.
Langsam und bedächtig ging sie über den Boden. Kurz darauf stieß sie mit den Knien gegen das Bett. Nichts war geschehen.
Ratlos sah sie Rathina an. »Bist du dir sicher, dass das alles war, was ich getan habe?«
»An mehr kann ich mich jedenfalls nicht erinnern«, sagte Rathina. Sie runzelte die Stirn. »Du musst es noch mal versuchen.«
Tania nickte.
Erneut stellte sie sich mit dem Rücken an den Schrank, diesmal jedoch etwas weiter vom Bett entfernt, sodass sie sich nicht wieder daran stoßen würde. Sie konnte Rathinas Blick auf sich spüren, während sie abermals durch den Raum marschierte.
Sie kam bis zur gegenüberliegenden
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