Elfennacht 01. Die siebte Tochter
sich bücken.
Ein Mann in Schwarz trat aus einer dunklen Nische in der Wand. Er hielt einen langen Spieß in den Händen, dessen geschärfte Kristallspitze glitzerte.
»Halt, wer da?«
Eden ging zu ihm. »Kennst du mich nicht?«, fragte sie.
Der Mann starrte sie verwirrt an. »Doch, Mylady.«
»Gut«, sagte Eden. »Und jetzt schlaf und träume von schöneren Orten als diesem Verlies!« Mit den Fingern berührte sie seine Stirn. Sofort verstummte er und blickte mit glasigen Augen vor sich hin, während Eden sich wieder zu Tania umdrehte. »Er wird mehrere Stunden nicht aufwachen.«
Tania ging zu dem erstarrten Mann und bewegte die Hand vor seinen Augen hin und her. Sie grinste Eden an. »Hey, ganz schön cool!«, sagte sie. »Irgendwann musst du mir mal zeigen, wie das geht.« Sie musterte sie. »Ich habe gedacht, du würdest deine Gabe nicht mehr benutzen. Mir wurde gesagt, dass du die Mystischen Kräfte nicht mehr angewandt hast, sei t … als Titania ertrunken ist.«
Eden begegnete ihrem Blick und das Entsetzen und die Qual in ihren Augen ließ Tania erschaudern.
»Die Königin ist nicht ertrunken«, sagte Eden leise. »Sie starb nicht im Wasser, Tani a – und ich bin schuld an ihrem Tod. Ich habe unsere Mutter getötet.«
XVIII
T ania wich vor ihrer Schwester zurück und umklammerte mit beiden Händen das Schwert. Sie hatte gesehen, wie leicht Eden mit der Wache fertig geworden wa r – durch eine bloße Berührung hatte ihre Schwester ihn in einem Schlafzustand versetzt. Wenn Eden so etwas bei ihr versuchen wollte, würde sie erst an dem Schwert vorbeikommen müssen.
»Aber ich habe gedacht, sie sei ertrunken«, sagte Tania voller Unbehagen.
»Nein, das ist sie nicht«, erwiderte Eden seufzend und nahm die Kapuze ab. Tania stockte der Atem: Edens langes, dichtes Haar war schlohweiß. »Fürchte dich nicht, Tania«, bat sie. »Ich wollte unserer Mutter nichts antu n – und ich lebe seit fünfhundert Jahren mit der Schuld.«
»Was ist denn geschehen?«
»Die Königin und ich haben nach deinem Verschwinden lange mit Rathina gesprochen«, sagte Eden. »Du hast in jener Nacht ein törichtes und gefährliches Spiel getrieben, Tania. Wir vermuteten, dass du in die Welt der Sterblichen hinübergegangen wars t – und dass du nicht mehr zurückgefunden hast.« Sie runzelte die Stirn. »Du hättest nie versuchen sollen, zwischen den Welten zu wandeln, ohne dir vorher Rat zu holen. Solche Unterfangen sind gefährlich.«
»Ja, jetzt ist mir das auch klar«, sagte Tania. »Schade, dass mir das damals keiner gesagt hat.«
»Ja.« Eden seufzte. »Wie waren nachlässig. Dabei hätte ich es besser wissen müsse n – du warst ein sehr impulsives und eigensinniges Kind.«
»Weiter«, drängte Tania.
»Unsere Mutter hegte den Wunsch, dir in die Welt der Sterblichen zu folgen. Doch der König hatte es verboten, aus Angst, noch ein Familienmitglied zu verlieren. Und so kam die Königin zu mir, heimlich, weil sie wusste, dass ich in den Mystischen Künsten geübt war. Zuerst habe ich mich geweigert. Doch die Königin blieb hartnäckig und schließlich gab ich nach.« Sie schloss die Augen. »Ich habe die Geister des Pirolglases herbeigerufen und einen Anhänger aus Bernstein geformt, den die Königin tragen sollte. Ich wusste, solange sie ihn um den Hals trug, wäre ich in der Lage, sie zurückzuholen. Ich bat sie ein letztes Mal, nicht zu gehen, aber sie wollte nicht hören. Sie trat ins Licht und war verschwunden.« Eden schlug die Hände vors Gesicht. »Ich hörte sie schreien, und als das Licht erlosch, sah ich, dass der Bernstein– das schützende Amulet t – ihr vom Hals gefallen war und zu meinen Füßen am Boden lag.«
»Was hast du getan?«, flüsterte Tania.
»Viele Male habe ich das Portal geöffnet, in der vergeblichen Hoffnung, unsere Mutter wäre vielleicht in der Lage, den Heimweg zu finden«, sagte sie. »Aber dem war nicht so. Sie ist fürwahr verloren und ich fürchte, dass sie bei dem Versuch, dich zu finden, vernichtet wurde.« Sie holte schaudernd Luft. »Ich fürchtete den Zorn des Königs, deshalb habe ich die Geschichte von dem Bootsunfall erfunden. Und seit jenem Tag, als die grenzenlose Trauer unseres Vaters die Zeit stehen bleiben ließ, schwor ich für immer meinen ganzen Künsten ab. Dabei wäre es sicher auch geblieben, wäre mich Gabriel Drake nicht erpresst hätte.«
»Schon wieder Gabriel!«, murmelte Tania. »Was hat er damals getan?«
»Er erriet die Wahrheit über den Tod
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