Elfenschwestern
müde. Und folgte der Baronin dann langsam in den Bankettsaal, vorbei an den bereits für den Abend aufgestellten runden Tischen, die Porter Chapman und eine Handvoll anderer junger Leute gerade eindeckten, und weiter durch eine hohe, doppelflügelige Tür, die vorige Nacht noch verschlossen gewesen war. Dahinter lag der Gartensaal, der Ballsaal von Englefield Park.
Er hatte eine hohe, bemalte Decke, von der mehrere sorgfältig entstaubte Kristalllüster hingen, eine schmale Empore, auf der schon Stühle für ein kleines Kammerorchester standen, einen vielfarbigen Parkettboden, der so auf Hochglanz gebohnert war, dass Lily es mit der Angst zu tun bekam bei dem Gedanken, sich auf dieser glatten Fläche in Leder besohlten Pumps bewegen zu müssen, und eine lange Reihe bis zum Boden hinuntergezogener Fenster, die auf die Terrasse hinausgingen. Draußen sanken schwere Flocken lautlos von einem weißen Himmel.
Es hatte wieder angefangen zu schneien! Lily seufzte sehnsüchtig. Sie überlegte gerade, wie viel lieber sie jetzt im Park wäre, als Geraldine Clask-Halls frostige Stimme durch ihre Gedanken schnitt: „Bitte aufstellen, meine Damen, meine Herren. Immer sechs Paare in einer Reihe, die Gesichter dem Saal zugewandt. Los, los, Ladies, ihr positioniert euch rechts, eure Begleiter links.“
Während die Fey sich tatsächlich plaudernd und kichernd zu formieren begannen, schüttelte Lily entsetzt den Kopf. Sie brauchte eine Begleitung? Was denn noch alles? Sie brauchte jetzt vor allem ganz dringend ihre Schwester. Gerade als sie Roses glänzendes schwarzes Haar entdeckt hatte und sich erleichtert in Bewegung setzen wollte, schnellte die knochige Linke der Baronin vor und schloss sich schraubstockgleich um Lilys Handgelenk.
„Wohin willst du bitte? Hast du denn schon einen Begleiter?“
„Nein“, antwortete Lily. „Ich brauche auch keinen.“
Die Fey lachte ungläubig. „Natürlich brauchst du einen!“ Sie ließ Lily los und wandte sich zum Saal. „Ruhe bitte!“, verlangte sie. Sie war nicht einmal besonders laut geworden, doch die Fey schwiegen umgehend.
„Bevor wir anfangen“, sagte Geraldine Clask-Hall, „müssen wir die letzte junge Dame noch an den Herrn bringen. Miss Fairchild hier“, sie machte eine Bewegung, die Lily von den Spitzen ihrer oft getragenen Wildlederstiefel über ihre Jeans bis hin zu ihrem dicken Pulli präsentierte, ihrem Reitoutfit von gestern, „hat es leider versäumt, sich rechtzeitig um einen Kavalier zu kümmern.“
Lily merkte mit Entsetzen, dass ihr schon wieder heiß vor Wut wurde.
„Vielleicht“, sagte die schreckliche Baronin mit falscher Freundlichkeit, „würde sich ja jemand unserer überzähligen Herren bereitfinden, Miss Fairchild in Empfang zu nehmen, wenn sie heute Abend die Treppe hinunterkommt, und dann den ersten Tanz mit ihr zu tanzen?“
Die überzähligen Herren? Zu ihrem Horror entdeckte Lily ein paar junge Fey, die sich nicht gemeinsam mit den anderen aufgestellt hatten, sondern sichtlich gelangweilt bei den Fenstern herumlungerten. David stand unter ihnen.
„Ich mach’s! Die Neue ist niedlich“, urteilte sein Nachbar und erntete damit einige Lacher.
„Das war nicht angebracht“, urteilte die Baronin von Leicesterfield, machte aber ein äußerst zufriedenes Gesicht.
„Und auch überhaupt nicht nötig“, sagte eine amüsierte Stimme. Alistair York schritt durch den Gang der Debütantinnenpaare heran, den Kopf zur Seite geneigt, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Diese junge Dame ist nämlich schon vergeben.“
Olive schnappte hörbar nach Luft und auch ihre Mutter sah alles andere als begeistert aus.
Lily ihrerseits hätte nicht gedacht, dass sie sich über Alistairs Anblick mal so freuen würde. Als er ihr seine Hand reichte, legte sie ihre, ohne zu zögern, hinein.
„Das ist unlauterer Wettbewerb“, rief der Fey, der sich freiwillig als Lilys Begleiter gemeldet hatte. „Deinen verdammten Rang und Namen kann eben kaum einer schlagen, Al.“
Alistair grinste und als habe sie auf dieses Zeichen gewartet, brach die Menge in Gelächter aus.
„Nur kein Neid“, kommentierte jemand.
„Andere Mütter haben auch schöne Töchter!“ Das kam von Constance, die sich mit schmollend vorgeschobener Unterlippe an den Fey im Red-Hot-Chili-Peppers-Shirt lehnte. „Ich mein ja bloß!“
Damit entlockte sie sogar Lily ein Lächeln.
„Ruhe!“
Dieses Mal hatte die frostige Geraldine Clask-Hall die Stimme so sehr angehoben, dass
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