Elfenschwestern
und jetzt zusammenbrechen und alles ruinieren.
„Oh mein Gott, das war vielleicht ein Kuss!“ Constance stürzte mit aufgerissenen Augen heran, Lady Penelope dicht hinter sich.
Die sorgsam aufrechterhaltene Choreografie der weißen Röcke und schwarzen Fräcke hatte sich aufgelöst, Debütantinnen wie Kavaliere wirbelten durcheinander und Lily und Alistair fanden sich eingekreist von jungen Fey. Penelope kommentierte trocken: „Ihr steht wohl auf Rampenlicht, wie? Auffälliger ging es ja nicht.“
David Bancroft machte sich nicht einmal die Mühe, sein breites Grinsen zu unterdrücken. Die feengleiche Emma neben ihm umarmte Lily fest und hauchte: „Du und Lord Alistair?“
„Sieht so aus“, murmelte Lily.
„Muss Liebe schön sein!“, rief David.
„Sagt der Mann, der im Glashaus sitzt“, sagte Penny spöttisch und wies mit einer Kopfbewegung auf Davids Hand, die angelegentlich nach Emmas gegriffen hatte.
Während alles lachte, bat Lily Alistair leise, sie kurz zu entschuldigen.
Er schlang einen Arm um ihre Mitte und zog sie an sich.
„Lass mich bloß nicht zu lang allein, meine Hübsche“, murmelte er, seinen Mund in ihrem Haar. „Das ertrag ich nicht.“
Lily nickte und floh. Sie schlüpfte zwischen den Ballgästen hindurch wie der gehetzte Tiger durchs Unterholz. Lieber hätte sie um sich geschlagen, geschrien, getobt, aber auch das war alles verboten. Durch die nächste Terrassentür, die sie finden konnte, stürzte sie nach draußen in die willkommene Umarmung der kalten Winternacht.
Genau einmal konnte Lily erleichtert durchatmen, bevor sie bemerkte, dass nur wenige Meter von ihr entfernt Jolyon im Mondlicht stand.
Hatte sie es geahnt? Hatte sie es gehofft?
Ganz vorne an der Balustrade, zwischen gegen die Kälte aufgestellten Kohlebecken und schmiedeeisernen, mit weißen Kissen und Decken gepolsterten Gartenstühlen, lehnte er den dunklen Kopf in den Nacken. Ein unaufmerksamer Beobachter hätte wahrscheinlich angenommen, Jolyon bewundere den Sternenhimmel. Aber Lily sah, dass er die Lider zusammenpresste, als wolle er die Welt ausblenden, und hörte, dass er so tief und rhythmisch Luft holte, als versuche er seinen Puls unter Kontrolle zu bringen.
Er ist wütend, dachte Lily gequält. Mindestens! Und zu Recht. Schon wenn er nur ein wenig so für mich fühlt, wie ich glaube, habe ich ihm gerade eben entsetzlich wehgetan.
Lily zitterte bei dem Gedanken. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als zu Jolyon zu treten, ihm die Arme um den Hals zu werfen und ihm alles zu erklären, doch sie riss sich zusammen. Leise wandte sie sich wieder zum Gehen.
Sie hatte die Klinke schon heruntergedrückt, da sagte er hinter ihr: „Tigermädchen.“
Lily schloss für einen Moment die Augen. Er hatte sie Tigermädchen genannt. Sie hatte ihn noch nicht verloren. Aber ich muss doch!, erinnerte sie sich verzweifelt. Sie versuchte, ihre Gefühle einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, bevor sie sich langsam wieder umdrehte.
Alistair mochte in seiner Abendgarderobe umwerfend aussehen, Jolyon raubte ihr schlicht den Atem. In seinem Frack wirkte er noch größer, schienen seine Schultern noch breiter. Er strahlte wie immer eine fast wilde Selbstsicherheit aus, eine gleichzeitig beruhigende und beunruhigende Stärke. Dass Jolyon nicht Gast auf Englefield Park war, sondern Angestellter, verriet einzig seine schwarze Kellnerfliege.
Ihn nur anzusehen, tat schon weh.
„Kannst du es mir erklären?“, fragte Jolyon ruhig. „Kannst du mir erklären, warum du dir für heute Abend ausgerechnet diesen Fey ausgesucht hast? Und warum in Dreiteufelsnamen du dich von ihm hast küssen lassen?“
„Ja!“, wollte Lily schreien. „Ja, das kann ich!“ Stattdessen blieb sie stumm und reglos. Ohne selbst eine Reaktion zu zeigen, beobachtete sie, wie in seiner Wange ein Muskel zuckte.
Nur noch mühsam beherrscht, sagte er: „Ich brauche eine Erklärung. Verstehst du das nicht? Ich weiß, dass du eher ein scheues Reh bist als ein männermordender Tiger. Wenn du einen Kerl küsst, dann hat das etwas zu bedeuten. Was ist es? Verdammt, Lily“, stieß er hervor. „Sprich!“
Erstaunlicherweise wusste Lily, was sie ihm antworten musste. Mit einer Stimme, die ihr in den eigenen Ohren fremd klang, sagte sie: „Du hast mir nicht die Wahrheit gesagt. Schon wieder.“
Jolyon blinzelte. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Wovon redest du? Ich weiß nicht, was du meinst.“
Er stand im Licht der vielen winzigen
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