Elfenschwestern
nur an, damit ich dich zum Bahnhof fahre. Oder abhole.“
„Lily“, sagte Rose. „Steig aus.“
Lily gehorchte. „Bye, Duncan“, sagte sie noch, bevor sie ihre Tür zufallen ließ.
Die Klinkerfassade der Copperfield High leuchtete gelb im Sonnenlicht. Der Himmel darüber war strahlend blau, der Schnee davor blendend weiß und all die munter schwatzenden und lachenden Schüler, die im Hof ihre Pause genossen, schienen das für eine großartige Kombination zu halten. Lily heute nicht. Sie lehnte sich an den schmiedeeisernen Zaun, der das Gelände zur Straße hin abgrenzte, und spähte durch die Stäbe. Wartete auf ein bekanntes Gesicht, das sich ihr zudrehen würde, auf eine Stimme, die sie rufen würde. Lily! Wie war dein Wochenende? Warum kommst du so spät? Wo ist dein Bruder? Was soll das heißen, du willst nicht darüber reden?
Das funktioniert nicht, dachte Lily. Und sie drehte sich kurz entschlossen wieder um.
Da auf den Vordersitzen saßen Rose und Duncan ineinander verschlungen und küssten sich, als gäbe es kein Morgen. Sie hatte ihre Hände in seinen Haaren, er hatte seine überall. Gerade als Lily hinsah, wanderten seine Finger über ihr Bein und schoben ihr Kleid höher. Und das direkt vor dem Schultor. Lily warf einen Blick zurück über die Schulter. Bis jetzt war aber noch niemand in Sicht, der wildes Rumknutschen vor dem Schulgelände ahnden wollte. Glück gehabt.
Lily stieg wieder ein. Als sie die Autotür zuwarf, löste sich Rose abrupt von Duncan. „Lily, was …“
„Ich gehe da nicht rein.“ Mehr sagte Lily nicht. Sie starrte ihre Schwester nur mit schmalen Augen an.
Rose blinzelte einmal. „Okay“, sagte sie dann. „Ich regle das mit Mrs Sherman. Duncan, nimm deine Finger weg.“
Er gehorchte seufzend. Sie klappte wieder die Sonnenblende herunter, überprüfte ihr Spiegelbild und strich sich mit beiden Händen die Haare zurück.
„Kannst du es denn?“, fragte Lily mit kleiner Stimme. „Da reingehen, meine ich?“
Rose drehte sich wieder um. „Fällt mir leichter, als das Cottage zu betreten“, sagte sie. „Schaffst du das, wenn Duncan dich begleitet?“
„Aber er muss doch auch in den Unterricht …“
„Ich lass dich nicht alleine fahren“, sagte Rose. „Ich kann nicht. Dir darf nicht auch noch was passieren.“
Duncan sah von einer Schwester zur anderen. Er räusperte sich. „Ich muss gar nichts heute, Lily. Außer mich von deiner Schwester verabschieden.“ Duncan nahm Roses Gesicht zwischen seine großen Hände, grinste, als sie fauchte, und küsste ihre inzwischen wieder lipglossfreien Lippen. „So. Kann losgehen.“
Lily langte über die Rückenlehne. Die Schwestern flochten die Finger ineinander. „Du nimmst das Amulett“, bestimmte Lily. „Keine Widerrede, ich habe meins ja zu Hause.“
„Leg es sofort um, wenn du da bist, ja?“, drängte Rose.
Lily nickte und drückte ihr die Kette mit dem Rosenanhänger in die Hand. Sie wusste nicht wieso, all das Schreckliche war schließlich in London passiert, aber sich jetzt von ihrer Schwester zu verabschieden, schien das Schwerste zu sein, das sie je getan hatte.
„Wir sehen uns heute Abend?“
Rose drückte noch einmal ihre Hand. „Versprochen.“ Dann sprang sie aus dem Wagen und stolzierte davon, ohne sich noch einmal umzusehen.
Duncan fuhr schweigend. Auch Lily sprach kein Wort. Der Blinker tickte, wenn Duncan abbog, die Reifen knirschten im Schnee, wenn er bremste. Friedlich ist das, dachte Lily, die mit dem Kopf an der kalten Scheibe lehnte. Dann sah sie das große Tesco-Schild am Ortsausgang und schrie: „Halt!“
Duncan fuhr sichtlich zusammen. „Was …?“
„Nichts, Entschuldigung.“ Lily rutschte vor, umklammerte seine Rückenlehne und beugte sich zwischen den beiden Vordersitzen nach vorne. „Alles okay. Aber könntest du wohl noch einen Abstecher in den Supermarkt verkraften? Bitte sag Ja, wir haben nämlich überhaupt nichts mehr zu essen daheim. Bis unsere Mrs Reilly nach den Feiertagen zurückkommt und wieder dafür sorgt, dass wir weder verhungern noch in Dreck und Chaos versinken, müssen Rose und ich den Haushalt alleine stemmen.“ Und, fügte Lily in Gedanken hinzu, ich habe keine Ahnung, ob wir das Cottage in nächster Zeit oft verlassen werden. Vielleicht igeln wir uns ein und melden uns krank, wie Mr Webber es vorgeschlagen hat. „Ich beeile mich auch“, versicherte sie Duncan. „Du müsstest nicht lange warten.“
„Ich komme mit“, sagte Duncan. „Hab
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