Elfenschwestern
und den Fassadenkletterer, die sie gerettet hatten. Der Fey. Der Feyjäger.
Lily krümmte sich zusammen, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub den Kopf in den Armen. Sie fuhren nach Hause, um nichts zu tun. Nichts!
Kühle Finger strichen ihr durchs Haar. Wortlos.
Genauso wortlos griff Lily nach ihrer Schwester. Schweigend und mit verschränkten Händen fuhren sie weiter. Es gab im Moment einfach nichts zu sagen.
Der erste Schnee war lange und ausgiebig auf Pipers Corner gefallen. Er bog die Kiefern am Pine Ridge und türmte sich auf den Brückengeländern.
Lily starrte hinunter in das schwarze Wasser des Fleeting Jim. Hier war ihr vor vier Tagen dieser seltsame Schauder über den Rücken gerieselt. Witterst du Gespenster? , hatte Gray lachend gefragt. Die Pixies, dachte Lily, das sind die Pixies gewesen.
Sie suchte in den Schatten der Bäume am Ufer nach rot glühenden Augen. Und fragte sich dann, warum sie die kleinen Fey im Finsteren vermutete. Weil man sich dort am besten verbergen kann, antwortete sie sich selbst. Und weil diese Pixies uns bisher immer nur bei Dunkelheit angegriffen haben. Diese Erkenntnis verblüffte Lily. Mieden diese Wesen das Tageslicht? Konnte das sein?
„Heute Nachmittag ist Probe.“ Rose setzte unsanft ihre kleine Reisetasche in den Schnee. „Sollen wir hingehen? Ich finde, alles ist besser, als zu Hause herumzuhocken und trüben Gedanken nachzuhängen.“
Lily schwieg. Sie dachte noch immer an die kleinen geflügelten Attentäter und war sich nicht sicher. Fühlte sich nicht sicher! „Wir werden sehen. Ach, schau, ist er das nicht?“
Ein weißer Ford bog auf die Brücke ein, kreuzte schwungvoll die in den Schnee gefahrenen Reifenspuren und stoppte neben den Mädchen. Duncan McEllis, Senior der Copperfield School und immer mal wieder der junge Mann an Roses Seite, lehnte sich aus dem offenen Fahrerfenster. „Miss Fairchild und Miss Fairchild“, sagte er und tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Schläfe. „Ich stehe zu Diensten.“
„Wurde auch Zeit“, begrüßte Rose ihn, marschierte um das Auto herum und riss die Beifahrertür auf. „Wir waren kurz vorm Festfrieren.“
„Hey, Duncan“, Lily lächelte den breitschultrigen Kerl mit den großen Händen an, der kaum hinters Steuer zu passen schien. „Ist echt nett, dass du uns fährst.“
„Kein Problem, Lil. Hat dein Schwesterherz mal wieder schlechte Laune?“
„Ich habe keine schlechte Laune“, fauchte Rose vom Beifahrersitz. „Ich habe es eilig. Steig ein, Lily. Wir müssen ja noch zur Direktorin, bevor die dritte Stunde losgeht.“
Lily ließ sich in den Fond sinken. Während Duncan über die Brücke zum Bahnhof fuhr, dort wendete und dann den schnellsten Weg Richtung Copperfield High einschlug, schaute Lily aus dem Fenster. Pipers Corner hatte sich übers Wochenende in ein Weihnachtspostkartenmotiv verwandelt, die Straßen lagen tief verschneit. Was hätte Gray sich darüber gefreut, dachte Lily. Spürte einen Stich im Herzen und sah lieber schnell geradeaus, direkt auf Duncans Hinterkopf mit den kurzen schwarzen Kräusellöckchen und auf Roses kühles Profil.
Ihre Schwester gab die Eiskönigin. Sie trug die Nase ein wenig höher als zu Hause, benutzte gerade den Spiegel in ihrer Sonnenblende, um ihre Lippen zu lackieren, und ignorierte Duncan völlig.
„Und“, fragte Duncan sie, als er an einer roten Ampel abbremste. „Jetzt bereit für einen Kuss?“
Rose schnaubte.
„Du könntest mir einen zur Begrüßung geben“, redete Duncan weiter. „Oder als Dankeschön dafür, dass ich so reizend bin, dich zu fahren. Schon wieder übrigens.“
Er fuhr weiter.
„Oder du küsst mich einfach so, weil du es gerne tust.“
Rose warf ihr Lipgloss in ihre Tasche. „Duncan! Meine Schwester sitzt direkt hinter dir.“
„Ich weiß.“ Duncan suchte im Innenspiegel Lilys Blick. Zwinkerte. „Und sie weiß genauso gut wie wir, dass du mich gerne küsst. Rose?“
„Was?“, fauchte Rose.
Duncan schenkte ihr ein breites Lächeln. „Schön, dass du wieder da bist.“
Das machte Rose fuchsteufelswild. „Was freue ich mich, dass du dich freust, Duncan! Wir sind leider nicht so glückselig. Wir mussten nämlich unseren Bruder zurücklassen. Und unsere Mutter. Mussten! Nicht wollten! Verstehst du?“
„Nein“, sagte Duncan, glitt vor ihrer Schule in eine Parklücke und stellte den Motor ab. „Das verstehe ich nicht. Kann ich auch gar nicht, denn du erzählst mir ja nichts. Du rufst
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