Elfenschwestern
Sicherheit ist?“, rief sie, während ihr neue Tränen über die Wangen liefen. „Zählt das denn gar nicht?“
Lily wurde das Herz schwer und der Hals eng. Rose zeigte selten Gefühle, aber das hieß nicht, dass sie nicht mit ihnen zu kämpfen hatte. Im Gegenteil, dachte Lily. Sie schließt sie so tief und fest in sich ein, dass sie nur so aus ihr herausbrechen, wenn der Druck zu hoch wird und sie es nicht mehr aushält.
Lily drückte Rose an sich. „Alles wird gut“, versprach sie ihr. „Ganz sicher.“
Rose lehnte den Kopf an die Schulter der Schwester. „Wir können nicht auch noch Mum verlieren“, flüsterte sie. „Das halte ich nicht aus.“
„Werden wir nicht“, versicherte ihr Lily. „Werden wir nicht.“ Sie streichelte Rose über den Kopf und strich ihr das glänzende Haar aus der heißen Stirn.
Rose drehte sich so, dass sie ihrer Schwester ins Gesicht blicken konnte. „Du siehst auch nicht gerade heiter aus“, bemerkte sie trocken. „Was ist passiert?“
„Och.“ Lily schluckte. „Es lief nicht so gut mit Jolyon.“
„Er hat dir nicht geholfen?“
„Nein.“
„Was für ein blöder Penner“, murmelte Rose.
Jetzt kamen Lily endlich die Tränen. „Ich habe gesagt, ich würde ihn in Stücke reißen.“
„Finde ich gut.“
Lily lachte, aber wegen der Tränen klang es etwas erstickt.
„Komm“, sagte Rose. „Ich teile meine Taschentücher mit dir.“
„Danke.“ Lily wischte sich die Augen. „Sehr schwesterlich.“
Eine Weile saßen sie so aneinandergelehnt da, schnieften ein bisschen und hielten sich gegenseitig fest.
„Verdammt“, sagte Rose irgendwann düster, „was ist das doch alles für ein Mist.“
Dem konnte Lily nur zustimmen. „Du, ich glaube, das war es vorerst mit Holmes und Watson“, sagte sie leise. „Wir sollten wohl besser auf Mum und Webber hören und heimfahren.“
Rose seufzte. „Und wie immer hat Sherlock Holmes Recht. Verdammt. Dabei ist alles besser, als hilflos herumsitzen zu müssen.“
„Ich weiß. He, wir können ja packen! Das beschäftigt uns immerhin für zehn Minuten oder so. Was meinst du? Sollen wir heute noch fahren?“
Rose schüttelte den Kopf. „Es ist schon alles besprochen“, erzählte sie. „Eileen bringt uns morgen Früh zum Bahnhof. Dann schaffen wir es gerade zur dritten Schulstunde. Kate hat uns auch einen Brief an die Direktorin dagelassen, ich habe ihn schon gelesen. Sie schreibt, Gray sei ernsthaft erkrankt und könne vor Weihnachten auf keinen Fall wieder zum Unterricht kommen. Und dann erklärt sie, dass sie nicht von seiner Seite weichen wird und deshalb nicht erreichbar ist.“ Rose lachte humorlos. „Clever. So wird sich keiner wundern, wenn Mum und Gray verschollen bleiben. Unsere Mutter kann richtig gut lügen, wusstest du das? Klar wusstest du das! Sie hat es schließlich geschafft, dass nie jemand gemerkt hat, was wir sind. Wir und Gray.“
Lily streckte die Hand nach der Decke aus, die Rose nach wie vor umklammert hielt, und streichelte vorsichtig über das weiche Gewebe. Wenn sie ganz tief einatmete, konnte sie ihren kleinen Bruder immer noch riechen: Kindershampoo und Sommersonne. „Ich glaube, eine weitere Nacht in dieser Wohnung halte ich nicht aus“, sagte sie mit rauer Stimme.
„Eileen hat gesagt, wir könnten auch gerne bei ihr schlafen“, merkte Rose an. „Ich wusste nur nicht, ob du …“
Lily sprang auf. „Zehn Minuten! Wie gesagt. Dann sind wir hier weg.“
12
My heart is true as steal. ~ Mein Herz ist echt wie Stahl.
Die Zugfahrt war fast zu viel für Lily. Beim letzten Mal hatte ihr Gray gegenübergesessen. Jetzt lehnte sich an seiner Stelle Rose in die Polster. Sie kaute geistesabwesend auf einem Kaugummi herum und starrte blicklos aus dem Fenster.
Blicklos ist gut, dachte Lily. Blicklos bedeutet, auf Leerlauf schalten zu können. Nicht mehr nachdenken zu müssen. Was für eine Erleichterung das wäre!
Aber sie kriegte es nicht hin. Wenn sie aus dem Fenster schaute, sah sie die weiß verschneiten Moore und Wälder in der Morgensonne glitzern und dachte an die Pixies, die Gray dort draußen entdeckt hatte. Wenn sie Rose ansah, dachte sie an Gray. Und dann sofort auch an Kate. Wenn sie Rose nicht ansah, sondern vor sich auf den Boden starrte, konnte sie nicht umhin, ihre verschrammten Stiefelspitzen zu bemerken und sofort an ihren Sturz vor das Auto und an ihren Fall vom Dach zu denken. An die Pixies, die ihr aus irgendeinem Grund nach dem Leben trachteten. An Jolyon
Weitere Kostenlose Bücher