Elfenschwestern
hierzubleiben, aber uns einfach nicht an die Bedingungen halten, überlegte Lily und richtete sich wieder auf. Irgendwie musste es doch möglich sein, mit Kate Kontakt zu halten. Eine E-Mail hier. Ein Telefonanruf da. Und immer mal wieder ein geschickt eingefädeltes Treffen in London. Aber Jolyon, was war mit Jolyon? Ich will ihn nicht verlieren, ich habe ihn doch gerade erst gefunden!, dachte Lily und fühlte, wie aufsteigende Tränen ihr in der Kehle brannten. Ich kann ja wohl nicht Alistair schöntun, wenn ich nur an Jol denke. Ich kann Alistair sowieso nicht schöntun, das geht nicht!
So tief war Lily in ihren Gedanken versunken, dass sie Porter Chapman erst bemerkte, als er vor ihr aufragte. Sie schrak heftig zusammen, eine Hand flog hinauf zu ihrer Kehle und ihr zusammengebündelter Dufflecoat rutschte ihr aus den Armen.
„Entschuldigung.“ Der hoch aufgeschossene Student bückte sich und hob ihren Mantel auf. „Miss Fairchild. Lily. Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber ich suche dich schon seit einer Ewigkeit.“ Er schaute über die Schulter den Flur entlang, auf den Lily irgendwie geraten war, ganz so, als wolle er sich vergewissern, dass sie alleine waren. Leise fuhr Porter fort: „Du musst mit mir kommen.“
Lily kämpfte um eine feste Stimme. „Das ist jetzt kein guter Zeitpunkt …“
„Die Chronisten“, sagte Porter bedeutungsvoll.
Und? Die Chronisten konnten von ihr aus zur Hölle gehen. Allerdings, Lily zögerte, was, wenn es etwas Neues gab? Hatte Mr Webber die Geheimbündler endlich davon überzeugt einzugreifen? Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.
„Okay“, sagte Lily. „Ich bin dabei. Wohin gehen wir?“
Porter legte ihren Mantel über seinen Arm und wies ihr den Weg. Auch wenn er selbst erst vor einigen Tagen in Englefield Park angekommen sein konnte, kannte er sich bereits gut aus. Er führte Lily sicher durch ein Labyrinth von Korridoren und Zimmerfluchten, und zwar immer so, dass sie niemandem begegneten. Am meisten beeindruckte Lily das Netz von schmalen dunklen Gängen, das sich hinter den Wohnräumen ausbreitete. Es war eigens für die Dienstboten aus längst vergangenen Tagen angelegt worden, die so ungesehen ihren Pflichten nachkommen konnten, und wie geschaffen für Chronisten der Rose, die unbeobachtet zu einem konspirativen Treffen schleichen wollten.
„Praktisch“, befand Lily, die hinter Porter her durch einen besonders schmalen Durchgang im ersten Stock schlüpfte.
Der junge Mann warf ihr ein schwaches Grinsen zu. „Alles in Ordnung?“, fragte er dann.
Porter Chapman konnte ganz offensichtlich auch nett sein.
Lily schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“
„Dachte ich mir. Der …“, Porter schluckte mühsam, „… Duke?“
Also fand nicht nur Lily ihn unheimlich. „Derselbe“, sagte sie grimmig.
Porter nickte. „Wie Dekan Finch-Hutton immer sagt: Sie sind eine Bedrohung“, erklärte er im Brustton der Überzeugung.
„Sie? Wer sie?“
„Na, die Fey natürlich.“
Lily blieb stehen. „Porter, es tut mir ja leid, dich daran erinnern zu müssen, aber ich bin auch eine Fey.“
Er wurde rot. Mal wieder. Vom Hals bis über beide Ohren. „Doch nicht richtig“, versuchte er die Situation zu retten. „Nur halb. Und überhaupt. Du bist immer freundlich und so.“
„Danke.“ Lily ging weiter. „Wir sind, was wir tun, findest du nicht? Wenn du zum Beispiel erklärst, Kate könnte meinen Bruder auf keinen Fall lieben, weil er doch nur ein Fey sei, macht dich das zu einem engstirnigen, herzlosen Ekel, finde ich.“
Porter öffnete den Mund, doch Lily winkte ab. „Ich habe das vom Dach aus gehört. Wenn du dich aber hier einschleusen lässt, um vielleicht, na, so etwas wie den nächsten Rosenkrieg zu verhindern, macht dich das“, sie überlegte, „zu so etwas wie einem Helden, denke ich.“
Porter Chapmans Adamsapfel bewegte sich hektisch auf und ab.
„Aber das ist nur meine Meinung“, schloss Lily leise.
Er sagte nichts, bedeutete ihr aber, eine schmale Holztreppe hinaufzusteigen.
„Noch höher?“, fragte Lily erstaunt. „Wohin geht es denn da?“
„Zu den Dienstbotenquartieren unterm Dach“, berichtete er, während er die knarrenden Stufen erklomm. „Wir sollten Glück haben und niemandem über den Weg laufen. Es sind alle unterwegs, weil so viel zu tun ist mit dem Ball heute und den ganzen Gästen.“
„Und was ist mit dir?“
Er seufzte. „Ich werde Ärger kriegen, weil ich jetzt gerade nicht dabei helfe, die
Weitere Kostenlose Bücher