Elfenstern
Taschengeld um die Hälfte kürzte? Calandra
stürmte die Treppen hinauf.
Es kümmerte sie nicht mehr, ob ihr Vater und der Sterndeuter
sich unten im
Keller in die Luft sprengten. Mit wutentbrannten Schritten marschierte
sie
durch die Küche, wo die Magd sich hinter einem Geschirrtuch
versteckte, bis die
grausige Erscheinung verschwunden war. In der dritten Etage –
wo sich die
Schlafräume befanden – blieb Calandra vor der
Tür ihres Bruders stehen und
klopfte energisch an.
»Paithan! Öffne augenblicklich die
Tür!«
»Er ist nicht da«, rief eine
schläfrige Stimme
vom anderen Ende des Flurs.
Calandra musterte die Tür mit zusammengezogenen
Brauen, klopfte wieder und rüttelte an dem hölzernen
Griff. Kein Laut. Sie
wandte sich ab, ging den Flur hinunter und trat in das Zimmer ihrer
jüngeren
Schwester.
Bekleidet nur mit einem rüschenbesetzten
Nachthemd, das ihre weißen Schultern
entblößte und eben soviel von ihren
Brüsten, um die Sache interessant zu machen, räkelte
Aleatha sich auf einem
Stuhl vor dem Frisiertisch, bürstete mit trägen
Strichen ihr Haar und
bewunderte sich im Spiegel. Das durch Magie belebte Glas wisperte
Schmeicheleien und wartete zwischendurch mit Vorschlägen
hinsichtlich des
vorteilhaftesten Lidschattens auf.
Schockiert blieb Calandra in der Tür stehen;
fast hätte es ihr die Sprache verschlagen. »Was
fällt dir ein! Sitzt am
hellichten Tag halbnackt vor dem Spiegel, während die
Tür offensteht! Und wenn
jetzt einer von den Dienern vorbeikommt?«
Aleatha hob die Augen. Sie tat es langsam und
bedächtig, denn sie kannte und genoß ihre Wirkung.
Die Augen des jungen
Elfenmädchens waren von einem klaren, strahlenden Blau, doch
im Schatten der
gesenkten Lider und langen, dichten Wimpern verdunkelten sie sich zu
einem
geheimnisvollen Purpur. Ein wohlbedachter Augenaufschlag bewirkte daher
einen
verblüffenden Wechsel der Farbe. Zahlreiche
Elfenmänner hatten diese Augen in
Sonetten gerühmt, und einer – wurde gemunkelt
– war sogar dafür gestorben.
»Oh, ein Diener ist bereits
vorbeigekommen«,
meinte Aleatha ungerührt. »Der Hausknecht. In der
letzten halben Stunde ist er
mindestens dreimal den Flur hinauf und hinunter gegangen.«
Sie ordnete die
Rüschen am Ausschnitt des Nachthemds, um ihren langen,
schlanken Hals besser
zur Geltung zu bringen.
Aleathas Stimme war dunkel und hörte sich stets
so an, als wäre sie im Begriff, in tiefen Schlaf zu sinken.
Vereint mit den
halbgeschlossenen Augen, vermittelte ihre Stimme den Eindruck
süßer Trägheit,
ganz gleich wohin die junge Frau ging oder was sie tat. Inmitten der
hektischen
Fröhlichkeit eines königlichen Balls tanzte Aleatha
– ohne den Rhythmus der
Musik zu beachten – in fast tranceähnlicher
Versunkenheit, völlig dem Partner
hingegeben, der den beglückenden Eindruck gewann, ohne den
Halt seiner starken
Arme würde sie zu Boden sinken. Die verschleierten Augen
hingen an seinem
Gesicht und der winzige glosende Funke in den purpurfarbenen Tiefen
verleitete
den betreffenden jungen Mann zu Überlegungen, was er wohl tun
konnte, damit
diese Augen sich weit öffneten und ihn zur Kenntnis nahmen.
»Du bist das Gesprächsthema von ganz
Equilan,
Thea!« schnappte Calandra, die ihr Spitzentuch wieder vor das
Gesicht gehoben
hatte. Aleatha besprühte Hals und Busen mit Parfüm.
»Wo bist du letzte
Dunkelzeit 9 gewesen?«
Die purpurfarbenen Augen öffneten sich noch ein
Stück weiter. Aleatha hatte nicht die Absicht, sich wegen
ihrer Schwester
sonderlich ins Zeug zu legen, was ihre Wirkung betraf.
»Seit wann kümmert es dich, wo ich gewesen
bin?
Was für eine Wespe ist dir zu dieser frühen Stunde
ins Korsett geraten,
Callie?«
»Frühe Stunde! Es ist fast Weinzeit! Du
hast den
halben Tag verschlafen!«
»Wenn du es denn wissen mußt, ich war mit
Lord
Kevanish zusammen, und wir gingen zum Schwarz …«
»Kevanish!« Calandra holte zischend Luft.
»Dieser Lump! Wegen der Affäre mit diesem Duell wird
er in kein anständiges
Haus mehr eingeladen. Er war der Grund, weshalb die arme Lucillia sich
erhängt
hat, und was erst ihrem armen Bruder zugestoßen ist! Und du,
Aleatha … daß du
dich in der Öffentlichkeit mit ihm zeigst
…« Calandra versagte die Stimme.
»Unsinn. Lucillia war ein Dummkopf, wenn sie
sich einbildete, ein Mann wie Kevanish könnte sich wirklich in
sie verlieben.
Ihr Bruder war ein noch
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