Elfenstern
Menschen einen bitteren,
verärgerten Blick zu, kehrte ihm den Rücken und
ging mit steifen Schritten zur anderen Seite der
Veranda. Dort blieb er stehen, riß eine Blüte von
einem Hibiskusstrauch und
zupfte verdrießlich die einzelnen Blätter aus.
Roland, der den Disput zu Ende
führen wollte, schickte sich an, ihm zu folgen, aber Rega
hielt ihn fest.
»Laß ihn eine Zeitlang in Ruhe.«
»Warum? Er redet Unsinn …«
»Roland, begreifst du denn nicht? Er muß
all
dies zurücklassen! Das ist es, was ihm Kummer
bereitet.«
»Was zurücklassen? Ein Haus?«
»Sein ganzes Leben.«
»Dir und mir ist es nicht schwergefallen, das zu
tun.«
»Aber nur, weil wir uns immer wieder ein neues
Leben aufbauen mußten«, sagte Rega ernst.
»Aber ich kann mich daran erinnern,
wie wir von zu Hause weggegangen sind, aus dem Haus, in dem wir geboren
wurden.«
»Was für ein Stall!« brummte
Roland.
»Nicht für uns. Wir kannten nichts anderes.
Ich
erinnere mich, wie es war, als Mutter nicht heimkam.« Rega
schmiegte sich an
ihren Bruder und legte die Wange gegen seinen Arm. »Wir haben
gewartet – wie
lange?«
»Einen Zyklus oder zwei.« Roland zuckte
die
Achseln.
»Wir hatten nichts zu essen und kein Geld. Und
du hast immer wieder versucht, mich zum Lachen zu bringen, damit ich
mich nicht
fürchte.« Rega schob ihre Hand in die ihres Bruders
und hielt sie fest. »Dann
sagtest du: ›Also, Schwesterlein, die Welt ist
groß, aber wenn wir hier in
dieser Hütte bleiben, kriegen wir nichts davon zu sehen.
‹ Dann sind wir losgezogen.
Wir gingen aus dem Haus, bogen in die Straße ein und folgten
ihr, wohin sie uns
führte. Aber ich kann mich an noch etwas entsinnen, Roland.
Auf dem Fußpfad
bist du nämlich stehengeblieben und hast dich nach dem Haus
umgesehen. Und ich
weiß genau, als du zu mir zurückkamst, standen
Tränen in deinen …«
»Damals war ich ein Kind. Paithan ist erwachsen
oder gilt wenigstens dafür. Ja, schon gut. Ich lasse ihn in
Ruhe. Ich werde
jedoch an Bord des Schiffes gehen, ob er mitkommt oder nicht. Und was
tust du, wenn er sich entscheidet hierzubleiben?«
Roland wandte sich ab und ging. Rega blieb neben
dem Fenster stehen, den sorgenvollen Blick auf Paithan gerichtet. Im
Innern des
Hauses wurde die Hand zurückgezogen, und die Spitzengardine
hing vor dem
Fenster, als wäre nichts gewesen.
»Wann brechen wir auf?« fragte Lenthan den
alten
Zauberer ungeduldig. »Sofort? Ich muß nur ein paar
Sachen zusammenpacken …«
»Sofort?« Zifnab griff erschreckt in
seinen
Bart. »O nein, nicht sofort. Erst müssen wir alle
zusammenrufen. Wir haben
Zeit, mußt du wissen. Nicht viel, aber ein wenig.«
»Mich würde interessieren«,
mischte Roland sich
ein, »bist du eigentlich sicher, daß dieser Haplo
mit deinem Plan einverstanden
ist?«
»Aber ja, selbst verständlich!«
erwiderte Zifnab
überzeugt.
Roland musterte ihn aus zusammengekniffenen
Augen.
»Nun«, der alte Zauberer suchte nach
Worten,
»vielleicht nicht gleich.«
»Aha!« Roland nickte ahnungsvoll.
»Um die Wahrheit zu sagen«, Zifnab schien
sich
zunehmend unbehaglich zu fühlen, »will er uns
überhaupt nicht dabeihaben. Es
könnte sein, daß wir uns – wie soll ich
mich ausdrücken – an Bord schleichen
müssen.«
»Schleichen!«
»Aber das könnt ihr getrost mir
überlassen!« Der
alte Zauberer nickte weise. »Ich werde das Zeichen geben.
Laßt mich nachdenken.
Wenn der Hund bellt! Das ist das Zeichen. Habt ihr alle
gehört!« Zifnab erhob
belehrend die Stimme. »Wenn der Hund bellt! Dann gehen wir an
Bord!«
Ein Hund bellte.
»Jetzt?« fragte Lenthan, der beinahe aus
den
Schuhen gesprungen wäre.
»Aber nein!« Zifnab schien ernsthaft
böse zu
sein. »Was hat das zu bedeuten. Es ist doch noch gar nicht
soweit!«
Der Hund kam um die Hausecke gestürmt. Er
schnappte nach Zifnabs langem Gewand und zerrte daran.
»Wirst du wohl! Du reißt den ganzen Saum
auf!
Laß das!«
Das Tier knurrte und zerrte immer heftiger,
dabei hielt es den Blick unverwandt auf den alten Mann gerichtet.
»Großer Nebukadnezar! Warum hast du das
nicht
gleich gesagt? Haplo ist in Gefahr. Er braucht unsere Hilfe!«
Der Hund ließ ihn los und verschwand mit weiten
Sätzen zwischen den Bäumen. Zifnab raffte seinen
Habit über die bloßen, dürren
Knöchel und lief hinter dem Tier her.
Die anderen blieben zögernd stehen, tauschten
unentschlossene Blicke und
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