Elfenstern
Nachdem
er in dem Sessel Platz genommen hatte, schaute er auf die Stadt hinaus,
die er
bald verlassen würde. Eine feuchte Zunge schleckte
über seine Hand.
»Na, alter Junge?« Haplo senkte den Blick
auf
den unauffälligen, schwarzen Hund mit der weißen
Zeichnung. »Glaubst du, ich
hätte dich vergessen?«
Der Hund öffnete das Maul zu einem stummen
Lachen und wedelte mit dem Schwanz. Während der
Überprüfung der Navigationskugel
war er gelangweilt eingeschlafen und freute sich jetzt, von seinem
Herrn wieder
beachtet zu werden. Die weißen Brauenflecke über den
klaren, braunen Augen
verliehen dem Tier einen Ausdruck ungewöhnlicher Intelligenz.
Haplo streichelte
die seidigen Ohren des Hundes und starrte blind auf die Welt, die sich
vor ihm
ausbreitete …
… Der Herrscher des Nexus schritt durch
die
Straßen seiner Welt – einer von seinen Feinden
für ihn geschaffene Welt und ihm
deshalb besonders kostbar. Jede kunstvoll gemeißelte
Marmorsäule, jeder
hochragende Granitturm, jedes grazile Minarett, jede
majestätisch gewölbte
Kuppel eines Tempels war ein Denkmal der Sartan, ein Denkmal der
Ironie. Der
Fürst liebte es, zwischen ihnen umherzugehen, und dabei lachte
er unhörbar in
sich hinein.
Nur selten erlaubte der Fürst sich ein freies
Lachen. Allen, die im Labyrinth gefangen sind, ist gemein,
daß sie selten
lachen, und wenn sie es tun, erreicht das Lachen nie ihre Augen. Selbst
jene,
die dem höllischen Kerker entkommen sind und in der herrlichen
Welt des Nexus
leben, lachen nicht. Bei ihrer Ankunft, nachdem sie das Letzte Tor
überwunden
haben, tritt ihnen der Herrscher des Nexus entgegen, der als erster das
Labyrinth besiegte. Er sagt zu ihnen nur drei Worte: »Denk
immer daran!«
Die Patryn vergessen nicht. Sie gedenken stets
all derer ihres Volkes, die noch gefangen sind. Sie gedenken der
Freunde und
Familienangehörigen, die durch Magie vernichtet wurden
– eine durch keine
übergeordnete Kraft mehr gebändigte, pervertierte
Magie. Sie vergessen nicht
die Wunden, die ihnen selbst geschlagen wurden. Auch sie lachen
innerlich, wenn
sie die Straßen des Nexus entlanggehen. Und wenn sie dem
Herrscher begegnen,
verneigen sie sich ehrerbietig vor ihm. Er – als einziger von
ihnen – wagt es,
in das Labyrinth zurückzukehren.
Und selbst für ihn ist die Rückkehr nicht
ohne
Gefahren.
Niemand kennt die Vergangenheit des Fürsten. Er
spricht nie darüber, und er ist ein Mann, dem man nicht so
ohne weiteres Fragen
stellt. Niemand kennt sein Alter, obwohl man aus verschiedenen
Bemerkungen
schließen zu können glaubt, daß er mehr
als neunzig Tore 15 zählt. Der Fürst ist ein Mann von scharfer, kalter
Intelligenz. Seine magischen
Fähigkeiten sind Gegenstand ehrfürchtiger Bewunderung
von Seiten seines Volkes,
deren eigene Begabung ihnen in den Welten ringsumher den Status von
Halbgöttern
sichern würde. Er ist viele, viele Male in das Labyrinth
zurückgekehrt, seit
ihm die Flucht gelang, um durch die Kraft seiner Magie dort sichere
Freistätten
für sein Volk zu schaffen. Und jedesmal, bevor er erneut das
Wagnis auf sich
nimmt, fühlt dieser Mann, wie ein Zittern durch seinen
Körper läuft. Nur unter
Einsatz seiner ganzen Willenskraft kann er sich überwinden,
wieder einmal das
Letzte Tor zu durchschreiten. Immer quält ihn die Furcht, tief
drinnen, daß
diesmal das Labyrinth die Oberhand behalten wird. Dieses Mal wird es
ihn
vernichten. Dieses Mal wird er den Rückweg nicht finden.
Auch an jenem Tag stand der Fürst vor dem
Letzten Tor, umgeben von seinem Volk, Patryn, denen es gelungen war zu
entkommen. Einige waren von Kopf bis Fuß tätowiert
– Runen als Schild, Harnisch
und Waffe –, und sie hatten beschlossen, sich zusammen mit
ihrem Fürsten den
Gefahren des Labyrinths zu stellen.
Er sprach nicht zu ihnen, aber er akzeptierte ihre
Gegenwart. Mit gemessenen Schritten trat er an das Tor aus Gagat heran
und
legte die Handflächen auf ein Sigel, das er selbst dort
eingraviert hatte. Bei
seiner Berührung leuchtete das Zeichen blau, die Sigel auf
seinen Handrücken
begannen ebenfalls blau zu schimmern, und das Tor, das bestimmt gewesen
war,
sich nur nach außen zu öffnen, fügte sich
dem Willen des Fürsten und gab den
Blick frei auf die schrecklichen, verzerrten, in stetem Wandel
begriffenen und
tödlichen Vista des Labyrinths.
Der Fürst schaute diejenigen an, die neben ihm
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