Elfenstern
Baumes. Sie benutzten
Pytharanken. Je mehr du dich abmühst, desto fester ziehen sie
sich zusammen.«
Ohne seine Peiniger aus den Augen zu lassen,
schob Roland sich Stück für Stück um den
dicken Stamm herum. Auf der anderen
Seite entdeckte er einen dunkelhäutigen Mann, einen Menschen,
der leuchtend
bunte Gewänder trug. An seinem linken Ohrläppchen
baumelte ein goldener Ring.
Man hatte ihn sorgfältig gefesselt; Ranken schlangen sich um
seine Brust, die
Arme und Handgelenke.
»Andor«, stellte er sich vor und grinste.
Eine
Hälfte seines Mundes war geschwollen, getrocknetes Blut klebte
an seinem
Gesicht.
»Roland Redleaf. Du bist ein
Seekönig?« fragte
er mit einem Blick auf den Ohrring.
»Allerdings. Und du stammst aus Thillia. Was
habt ihr Leute im Thurn-Gebiet zu suchen?«
»Thurn? Wie kommst du auf Thurn. Wir sind auf
dem Weg nach Fernhin.«
»Spiel nicht den Dummen, Thillier. Du
weißt
genau, wo du bist. Also treibst du Handel mit den Zwergen
…« Andor verstummte
und leckte sich über die trockenen Lippen. »Ich
könnte etwas zu trinken
vertragen.«
»Ich bin Forscher«, sagte Roland mit einem
verstohlenen Blick auf ihre Peiniger, um zu sehen, ob man sie
beobachtete.
»Keine Sorge. Denen ist egal, was wir reden. Es
gibt auch keinen Grund zu lügen, weißt du. Wenn man
nicht mehr lange zu leben
hat, ist es unsinnig, sich noch etwas vorzumachen.«
»Wie? Was soll das heißen?«
»Sie haben alles niedergemetzelt … alle
zwanzig
Mann meiner Karawane. Und auch die Tiere. Warum die Tiere? Sie haben
keinem was getan. Es ergibt keinen Sinn, oder?«
Tot? Zwanzig Leute tot? Roland versuchte am
Gesicht des Mannes abzulesen, ob er vielleicht
Lügengeschichten erzählte, weil
er hoffte, den Thillier von den Handelsrouten der Seekönige
fernzuhalten. Andor
lehnte mit geschlossenen Augen an dem Baumstamm. Roland bemerkte
Schweißtropfen
auf der Stirn des Mannes, dunkle Ringe unter den eingesunkenen Augen,
die
blutleeren Lippen. Nein, er log nicht. Angst schnürte Roland
die Kehle zu.
Regas verzweifelter Aufschrei kam ihm in den Sinn, wie sie seinen Namen
gerufen
hatte. Er schluckte mühsam.
»Und du?« brachte er heraus.
Andor regte sich, öffnete die Augen und grinste
wieder. Es war ein schiefes Grinsen und jagte
Roland einen kalten Schauer über den Rücken.
»Ich war nicht im Lager. Ein menschliches
Rühren
– du weißt schon. Ich hörte den
Kampflärm, die Schreie. Nach Anbruch der
Dunkelzeit … beim Gott der Fluten, ich bin
durstig!« Er befeuchtete sich wieder
die Lippen. »Ich blieb, wo ich war. Hölle, was
hätte ich tun können? Nach
Anbruch der Dunkelzeit schlich ich zurück und fand sie
– meine Gefährten,
meinen Onkel …« Er schüttelte den Kopf.
»Ich floh. Nahm die Beine in die Hand.
Aber sie erwischten mich und schafften mich her, kurz bevor sie dich
anschleppten. Es ist unheimlich, wie sie alles sehen können
– ohne Augen.«
»Wer oder was um Orns willen sind sie?«
fragte
Roland.
»Das weißt du nicht? Es sind die
Tytanen.«
Roland schnaufte verächtlich.
»Kindermärchen!«
»Ja! Kinder.« Andor lachte.
»Mein kleiner Neffe
war sieben. Ich fand seine Leiche. Sein Schädel war
aufgeplatzt, als hätte
jemand draufgetreten.« Er verstummte und hustete
gequält.
»Nimm’s nicht so schwer«,
flüsterte Roland.
Andor holte tief Atem. »Es sind Tytanen, du
kannst es glauben; sie haben das Kasnar-Imperium zerstört.
Nicht ein Stein
blieb auf dem anderen, die Bevölkerung wurde ausgerottet, nur
wenigen gelang
es, rechtzeitig zu fliehen. Und jetzt ziehen sie nach Süden,
durch die
Königreiche der Zwerge.«
»Aber die Zwerge werden sie doch
aufhalten?«
Andor seufzte, verzog das Gesicht und rückte
sich bequemer zurecht. »Man erzählt sich, die Zwerge
steckten mit ihnen unter
einer Decke; sie würden diese Ungeheuer anbeten. Angeblich
planen die Zwerge,
sich unsere Länder einzuverleiben, nachdem die Tytanen uns aus
dem Weg geräumt
haben.«
Roland glaubte sich vage zu erinnern, daß
Schwarzbart etwas über sein Volk und die Tytanen
erzählt hatte, aber es war
schon zu lange her.
Eine aus den Augenwinkeln wahrgenommene Bewegung
veranlaßte ihn, sich herumzudrehen. Weitere Riesen kamen
unter den Bäumen
hervor und traten auf die Lichtung. Sie bewegten sich lautloser als der
Wind;
nicht ein Blatt regte sich, wenn sie vorübergingen.
Roland musterte die Neuankömmlinge wachsam und
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