Elfenwinter
verteidigen mussten, deren Mauern sie vor dem Nahkampf mit den Trollen bewahrten.
Plötzlich geriet der Schnee vor ihm in Bewegung. Eine Gestalt löste sich aus dem Weiß, gut getarnt durch einen schweren, weißen Wollumhang. Silwyna.
»Warum bist du nicht im Lager?«, fragte Alfadas überrascht.
»Ein Blick ins Feuer verdirbt die Nachtsicht.«
»Brauchen wir denn jemanden, der in dieser Nacht über uns wacht? Fenryl sagt, die Trolle seien noch weit entfernt.«
Silwyna schnaubte verächtlich. »Er ist nur ein Normirga. Ich bin eine Maurawani, und ich weiß, dass ein Jäger, der seine Beute unterschätzt, selbst nichts anderes ist als Beute. In Vahan Calyd dachten auch alle, sie seien in Sicherheit. Nun weiß ich, dass die Trolle nach Albenmark zurückgekehrt sind. Und ich weiß, dass sie in ihre alte Heimat wollen. Das sind zwei gute Gründe, sich in der Snaiwamark nicht einfach an ein Feuer zu legen und zu schlafen.«
Alfadas dachte daran, wie nahe sie sich einmal gewesen waren. »Du bist immer auf der Hut, nicht wahr? Was habe ich damals getan, dass du mich verlassen hast?«
»Hier sind nicht Zeit und Ort, um darüber zu reden«, sagte sie barsch und trat in die Dunkelheit.
»Wird es jemals eine Zeit und einen Ort für eine Aussprache geben?«, rief er ihr wütend hinterher. Sein Zorn galt nicht nur ihr. Ebenso wütend war er darüber, dass nur wenige Worte mit ihr genügten, um ihn so sehr aus der Fassung zu bringen.
Silwyna blieb stehen. Langsam drehte sie sich um. »Du sprichst wahr, Menschensohn. Es wird niemals leicht sein, über das zu sprechen, was war. Und in wenigen Wochen sind wir vielleicht beide schon tot. Du hast ein Recht darauf, es zu wissen. Was glaubst du, warum ich zu dir in die Andere Welt gekommen bin?«
Das war noch eine Frage, die sich Alfadas in den vergangenen Wochen oft gestellt hatte. Und er hatte keine Antwort darauf gefunden.»Vielleicht, weil Ollowain dich darum gebeten hat?«
Sie stand jetzt dicht vor ihm. »Nein«, sagte sie lächelnd. »Das würde er niemals tun. Im Gegenteil, er hatte Sorge, mich mitzunehmen, denn er fürchtete, mein Anblick würde dich wütend machen.« Ihre Wolfsaugen hielten seinen Blick gefangen. Sie war noch immer wunderschön. Jedenfalls für ihn.
»Ich bin in die Andere Welt gegangen, um zu sehen, was für ein Vater du bist. Ich wusste, dass du ein Weib hast. Und ich dachte mir, dass du auch Kinder haben würdest. Ich wollte sie sehen… Wollte wissen, wie du sie großziehst. Wie du zu ihnen bist. Wie sie dich ansehen.«
Alfadas spürte einen dicken Kloß im Hals aufsteigen. Er dachte an Ulric, wie er ihm mit ernstem Blick zuhörte, wenn er ihm davon erzählte, wie man ehrenhaft kämpfte. Und an Kadlin, deren überschwängliches Lachen jeden Zorn über all die kleinen Katastrophen, in die sie einen verwickelte, sofort verrauchen ließ.
»Du hast noch einen Sohn, Alfadas«, sagte die Elfe leise. »Er heißt Melvyn.«
Das konnte nicht sein! Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. Sein Mund wurde trocken. »Menschen und Elfen können keine gemeinsamen Kinder zeugen.« Er vermochte kaum zu sprechen.
»Ja, so sagt man. Es ist… unnatürlich? Er wurde in Liebe gezeugt. Ist das unnatürlich?«
Plötzlich packte Alfadas wieder die Wut. »Wieso bist du fortgelaufen? Warum hast du nichts gesagt? Du hast ihn mir gestohlen. Warum erzählst du mir von einem Kind, das ich niemals sehen werde?« Ebenso plötzlich, wie die Wut gekommen war, verging sie auch wieder. Er musste an all die einsamen Stunden seiner Kindheit denken, in denen er sich einen Vater gewünscht hatte. Ollowain hatte sich wirklich alle Mühe gegeben… Aber einen Vater zu haben war etwas anderes.
»Ich musste es tun. Wegen Emerelle.« Silwynas Lippen zitterten. »Noroelles Sohn. Er war auch ein Kind, das nicht hätte gezeugt werden dürfen. Ein Bastard, der nur zur Hälfte ein Elf war. Sie hatte seinen Tod befohlen. Und sie hat Noroelle bis ans Ende aller Tage verbannt. Du weißt… «
»Ja…« Alfadas' Stimme war nur noch ein verzweifeltes Krächzen. Er wusste, was geschehen war. Hatte er doch zu denen gehört, die Noroelles Sohn schließlich gefunden hatten. Er hatte nachfühlen können, warum Farodin und Nuramon den Befehl ihrer Königin verweigert hatten.
»Ich hatte Angst, Emerelle würde auch unser Kind zum Tode verurteilen.« Silwynas Stimme überschlug sich, so schnell sprach sie jetzt. Alfadas ahnte, wie lange sie sich danach gesehnt haben musste, endlich darüber zu reden.
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