Elfenwinter
wilde Bergland, das sie hinter sich ließen. Die Tiefe des Abgrunds hatte etwas Unheimliches. Sie zog ihn an. Alfadas musste dagegen ankämpfen, nicht zu nahe heranzugehen. Ob es den anderen Männern auch so erging? Wenn man so hoch gestiegen und dem Himmel so nah war, fühlte man sich wie ein Vogel. Es war fast, als fliege man.
Außerdem zehrte der Aufstieg in ungewohntem Maße an seinen Kräften. Sein Atem ging keuchend, obwohl er nur ein langsames Schritttempo angeschlagen hatte. Etwas raubte ihm die Luft. Und den anderen Männern um ihn herum ging es ähnlich. Da war ein Stöhnen und Keuchen, als kämpfe sich ein Heer aus Greisen den Berg hinauf. Der Herzog blickte auf. Fünfzig Schritt noch, dann kam eine enge Kehre. Einige der Männer gingen sehr dicht am Abgrund entlang. Die neue Welt und der Zauber, der sie gegen die Kälte schützte, machten sie übermütig. Andere marschierten fast nackt und hatten sich ihre Körper mit grotesken Fratzen bemalt, um wie Berserker auszusehen. Er würde eine Rede halten müssen, bevor sie morgen das Lager abbrachen. Dieser Übermut konnte zu nichts Gutem führen.
Ein Schrei schreckte den Herzog auf. Kaum zwei Armlängen entfernt stürzte ein Mann an ihm vorbei. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen und glänzten. Die Arme ausgebreitet wie Vogelschwingen stürzte er in die Tiefe.
Jetzt trat auch Alfadas dicht an den Wegrand. Ein ganzes Stück tiefer sah er den Unglücklichen gegen die Felswand schlagen. Blut spritzte auf. Der Mann fiel weiter, bis er im Dunst tief unter ihnen verschwand. Während Alfadas noch immer in den Abgrund starrte, ertönte ein zweiter Schrei. Schriller und wilder. Mit angelegten Flügeln stürzte ein schneeweißer Falke aus dem Himmel. Auch er verschwand im Nebel am Fuß der Steilwand.
Beklommen trat der Herzog einen Schritt zurück. »Vorwärts!« Die ganze Kolonne hatte angehalten. Mit einigen barschen Worten trieb er die Männer voran. Er tat es auch, um nicht über den Toten nachdenken zu müssen. Er hatte den Namen des Mannes vergessen, aber er konnte sich noch gut erinnern, wie er in Hon-nigsvald zu ihm gekommen war. Zunächst war er sehr zurückhaltend gewesen, doch dann hatte er sich immer mehr in Begeisterung geredet. Er war der Schmied gewesen, der die Stangenbeile ersonnen hatte.
Was Alfadas am meisten beschäftigte, war der Gesichtsausdruck des Mannes. Der Schmied war nicht gestürzt, er war gesprungen. Und er hatte dabei glücklich gewirkt!
Der Herzog blickte den Weg entlang. Eine Stunde noch, vielleicht ein wenig länger, dann hatten sie die Steilwand bezwungen. Was immer den Schmied gepackt hatte, hoffentlich ergriff es nicht noch mehr Männer! Alfadas hatte sich verschätzt. Es vergingen mehr als zwei Stunden, bis sie die Steilwand hinter sich gelassen hatten und auf eine weite Ebene gelangten. Während der Herzog die Männer in Gruppen formierte, sobald sie den Steilweg verließen, kamen Ollowain und Graf Fenryl zu ihm. Die beiden Elfen in ihren weißen Gewändern verschwam-men fast mit dem Hintergrund der verschneiten Ebene.
Fenryl hatte warme, hellbraune Augen. Seine vollen Lippen und sein ungebändigtes, lockiges Haar, ließen ihn weniger abweisend und kühl erscheinen als die übrigen Elfen. Er trug einen weißen Waffenrock von schlichter Eleganz und einen Seidenmantel, der sich schon beim leisesten Lufthauch bauschte. Erst auf den zweiten Blick fiel Alfadas der Falknerhandschuh an Fenryls linker Hand auf.
»Herzog, es wird bald dunkel werden«, begann der Graf, ohne sich mit höflichen Floskeln aufzuhalten. »Ich würde vorschlagen, dass wir das Heer bis nach Einbruch der Dunkelheit marschieren lassen, um noch ein gutes Stück Weg zwischen uns und den Abgrund zu bringen. Ich mache mir Sorgen.«
»Warum?« Alfadas musterte den Elfen scharf. Hatte er ihm etwas verheimlicht?
»Es ist die Luft. Sie ist in der Höhe anders. Den meisten Elfen macht das nichts aus. Nur unser Atem geht schneller, wenn wir uns anstrengen. Aber bei deinen Männern… Ich weiß nicht, wie es ihnen ergehen wird. Bei Kobolden ist bekannt, dass manche in einen Rausch verfallen und nicht mehr Herr ihrer Sinne sind. Sie haben Halluzinationen und bilden sich die seltsamsten Dinge ein.«
»Zum Beispiel, dass sie fliegen können?«, fragte Alfadas scharf.
Ollowain wich verlegen seinem Blick aus. Der Graf aber nickte. »Ja, das ist schon vorgekommen.«
»Das hättet ihr mir vorher sagen müssen!«
»Wir dachten, es würde euch Menschen nichts
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