Elfenwinter
keinen Sinn, noch weiter zu kämpfen.
Der Schwertmeister sah zu der langen Reihe kaum daumengroßer Öffnungen in der Wand des Tunnels. Jetzt war die Zeit gekommen, das Angebot des Holden anzunehmen. Gegen jede Wahrscheinlichkeit hatten sie zwei Angriffe der Trolle zurückgeschlagen. Einem dritten hatten sie nichts mehr entgegenzusetzen… Außer Gondoran!
Die letzten Flüchtlinge mussten jetzt schon weit draußen auf der vereisten Hochebene sein. Die Trolle würden sie nicht mehr einholen. Zumindest heute nicht. Ollowain nahm das silberne Horn von seinem Gürtel und setzte es an die Lippen. Drei lange Stöße waren sein Abschiedsgruß an Phylangan.
»Was soll das?«, fragte Alfadas müde. »Lädst du die Trolle ein?«
»Nein, ich rufe unseren letzten Verbündeten.« Er wandte sich an die anderen. »Zurück! Lauft hinauf zum Himmelshafen. Lauft, so schnell euch die Beine tragen. Unser Freund wird den Atem des Drachen entfesseln, so hat er mir gesagt.«
Noch bevor jemand fragen konnte, war ein fernes, drohendes Zischen zu hören.
Ollowain sprang von der Barrikade. »Lauft!«, rief er. »Nehmt die kleinen Eissegler, die zurückgeblieben sind.« Das Zischen wurde zu einem Fauchen. Seine Gefährten rannten. Der Schwertmeister packte den Kobold und warf ihn sich über die Schulter. Für die Respektlosigkeit würde er sich später entschuldigen.
Die Trolle brachen in schrilles Triumphgeschrei aus. Ollowain konnte das schwere Stampfen ihrer Füße hinter sich hören.
»Was geschieht hier, Kriegsherr?«, fragte der Kobold ängstlich.
Ollowain blieb kein Atem, um zu antworten. Seine Gefährten liefen ein Stück vor ihm. Silwyna blickte sich nach ihm um. Ihre Augen weiteten sich! Das Fauchen brach in den Tunnel. Ollo-wain blickte nicht zurück. Schrilles Kreischen klang in seinen Ohren. Todessschreie.
Der Kobold schrie. »Lauf! Lauf, der Drachenatem holt uns ein.« Der Schwertmeister sprang mit einem weiten Satz über die verbogenen Trümmer des Himmelstors hinweg. »Haltet euch nach links! Lauft zu den Docks! Lauft nicht geradeaus!«
Ollowain bog hinter dem Tor zur Seite und rannte an der weiß getünchten Höhlenwand entlang. Die Schreie hinter ihnen waren verstummt. Nur das drohende Zischen war noch zu hören. Dichter weißer Dampf schoss durch das zerstörte Himmelstor. Der Leibwächter seines Vaters wurde von der Wolke verschlungen. Ein kurzer Schrei. Erst jetzt wurde Ollowain bewusst, dass er seine Warnung in der Sprache der Menschen gerufen hatte. Die anderen waren entkommen. Sie rannten auf die Eissegler zu, die an den Docks vertäut lagen. Langsam breitete sich der Dampf in der weiten Hafenhalle aus. Der Boden des Himmelshafens war von Eis bedeckt, und durch das weite Tor auf die Hochebene von Carandamon drang der Atem des Winters.
Ollowain setzte den Kobold ab. Der Bart des kleinen Kriegers war überzogen von feinen silbernen Wasserperlen. Ein unangenehm warmer Hauch schlug Ollowain ins Gesicht und brannte auf seinen Wangen. »Danke, Kriegsmeister, dass du alle Förmlichkeiten vergessen und mich wie einen Sack Mehl auf die Schulter geworfen hast.«
Ollowain lächelte müde. »Wer weiß, wie oft deine Armbrustbolzen mir das Leben gerettet haben. Du bist mir nichts schuldig.«
Der Kobold schüttelte trotzig den Kopf. »Ich schulde dir ein Leben, Kriegsmeister. Du kannst diese Schuld jederzeit einfordern. Ich heiße Murgim. Du findest mich…«
»Auf einem Eissegler!«, unterbrach Ollowain den Redefluss des Kobolds. Dichter Nebel griff nach ihnen. Der kleine Krieger verwusch zu einem vagen Schemen. »Halte dich an der Wand, dann kannst du die Docks nicht verfehlen.«
»Kommst du nicht mit uns, Kriegsmeister?«, rief Murgim ihm nach.
Ollowain tastete sich an der Wand zurück. Der Fels war schlüpfrig vom warmen Kondenswasser. Er war kein Kriegsmeister mehr, dachte Ollowain und fühlte sich trotz der Niederlage unendlich erleichtert. Phylangan war verloren. Er hatte bis zuletzt gekämpft, aber die Felsenburg war nicht zu retten gewesen. Nun würde er tun, was er schon längst hätte tun sollen!
Er fand die Treppe, die er nur einmal hinabgestiegen war, und machte sich auf den Weg in die Tiefe des Berges. Jetzt gab es hier keine Wachen mehr. Der steinerne Wald war verwaist, der Brunnen zwischen den Säulen versiegt. Immer wieder bebte der Boden unter seinen Füßen. Es war, als ginge man auf dünnem Eis, das bald schon unter den Strahlen der Frühlingssonne aufbrechen würde.
Aus dem Durchgang zur Halle
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