Elfenwinter
jemals über Skanga gehört hatte. »Jeder hat mir bisher gesagt, was ich wissen wollte. Es ist unnütz zu kämpfen. Am Ende redet ihr alle. Gib nach. Sag mir, wie du heißt. Nur dein Name, und ich lasse dich los.« Die Augen der toten Königin öffneten sich. Da waren keine Augäpfel oder Pupillen mehr. Nur gleißendes Licht, so hell, dass der Rudelführer den Blick abwenden musste.
»Dein Name!«
»Sa… San… «
Tränen aus Licht troffen von den Augen Emerelles. Ihre Stimme erstickte in unartikuliertem Wimmern. Immer lauter wurde das gemarterte Kreischen. Orgrim hatte schon oft das Geschrei Sterbender gehört. Aber eine Tote noch weiter gequält zu sehen, wühlte ihn zutiefst auf. Es gab also keinen Frieden. Nicht einmal im Grab. Nie. »Sansella!«, stieß die Königin hervor. »Ich heiße Sansella! Sansella!«
Skanga zog ihre Hand zurück. Das unheimliche Licht verschwand augenblicklich. Die Leiche lag völlig still. Orgrim starrte die Tote erschrocken an. Konnten Leichen lügen? War dies eine letzte List der Tyrannin?
»Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst.« Skanga hielt ihn mit ihren milchigen Augen fixiert. »Die Antwort ist: nein!«
Branbart zog die Nase hoch und spuckte Orgrim vor die Füße. »Dafür hast du dein Schiff verschenkt, Welpe. Du bist es nicht wert, ein Rudelführer zu sein. Ich nehme dir dein Rudel. Du bist nur mehr Krieger. Und vermutlich ist das noch zu viel!«
Orgrim sah fassungslos von der Toten zum König und dann wieder zu Skanga. Die Elfenwichte hatten ihm alles genommen! Er war zu überrascht und erschüttert, um überhaupt etwas sagen zu können. Seit Tagen hatten all seine Gedanken darauf gezielt, wie er Herzog werden könnte, und nun war er nicht einmal mehr Rudelführer. Die Schamanin hielt die Schwanenkrone in der Hand und streichelte über das kalte Metall.
»Ihr Band zerreißt«, sagte sie leise. »Die Königin hat die Krone so lange getragen, dass es eine Verbindung zwischen diesem Stück Metall und ihr gibt. Doch es wird immer schwächer. Sie scheint im Sterben zu liegen.« Skanga hatte die Augen geschlossen und presste die Krone fest auf ihre Brust. »Sie ist am Rand der Baumsümpfe auf der anderen Seite der Stadt.«
»Holt sie mir!«, rief Branbart. »Wer Emerelle bringt, wird Herzog sein! Schickt Schiffe, damit sie aus dem Sumpf nicht aufs Meer entkommt. Kreist sie ein! Hetzt sie wie Wölfe ein verwundetes Reh. Ihr habt es gehört, sie liegt im Sterben. Bringt sie mir! Wenn uns Emerelle entkommt, dann ist dieser Sieg nur einen Dreck wert!«
UNTER DEM STACHELTUCH
Ein toter Lamassu trieb mit weit ausgebreiteten Flügeln an Ol-lowain vorbei. Die Strähnen seines geölten Bartes umspielten sein dunkles Antlitz wie tanzende Wasserschlangen. Die riesigen Schwingen und der Stierleib waren von wuchtigen Schlägen zerschmettert worden. Nur sein sonnengebräuntes Antlitz mit der klassischen Nase, den edel geschwungenen Brauen und den sinnlichen, vollen Lippen war unversehrt gewesen. Der La-massu trieb inmitten des breiten, roten Lichtstreifens, der durch das Tor unter der Zisternendecke aufs Wasser fiel. Und er war nicht der einzige Tote, den man hier herabgeworfen hatte.
Ollowain schwamm zu der Anlegestelle und klammerte sich an einen der goldenen Ringe, die in die Mauer eingelassen waren, um daran Boote zu vertäuen. Es war totenstill. Nichts regte sich. Weder im Wasser noch auf der Treppe oder auf dem Weg hinauf zum roten Licht.
Lautlos glitt der Schwertmeister aus dem Zisternenbecken. Geduckt lief er zur Treppe hinüber. Der weiße Marmorboden war mit Blut verschmiert. Ollowain zog sein Schwert. Mit langen Sätzen eilte er dem Licht entgegen.
Auch hier führte eine geheime Tür von den Zisternen in einen prächtigen Saal. Ein schwarzer Fries mit Bäumen aus Perlmutt war der einzige Schmuck des Marmors. Die meisten der Öllampen auf der Treppe hinauf zur Stadt waren zertreten. Blut war an den Wänden und auf dem Boden. Das schwere goldene Tor war zerschlagen. Es sah aus, als habe ein zorniger Riese mit Fäusten darauf eingehämmert. Dahinter erstrahlte der Himmel in flackerndem Purpur.
Die Treppe führte hinaus in einen Wassergarten. Aus goldenen Fontänen wurden kristallene Blüten geboren. Im aufgewühlten Wasser eines der Becken lagen zwei Holde. Blut trieb in feinen rosa Schlieren hinab zum Abfluss des Beckens. Außer dem Plätschern des Wassers erklang kein Geräusch.
Misstrauisch sah Ollowain sich um. Was immer hier gewütet hatte, war
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