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Elfenwinter

Elfenwinter

Titel: Elfenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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haben, sind wenigstens so klug, mir nicht mehr unter die Augen zu treten.« Er wandte sich an den alten Krieger. »Wie viele Schiffe haben wir gleich verloren, Mandrag?«
    »Vier, mein König.«
    »Vier Schiffe! Jedes mit mehr als zweihundert Kriegern an Bord! Das ist ja ein ganzes Heer. Und sie alle sind in Brand geraten?«
    »Ja, mein König«, bestätigte der Alte.
    »Nie wieder will ich diese dreimal verfluchten Feuerkugeln an Bord eines Trollschiffes sehen. Und auch die Katapulte werdet ihr morgen über Bord werfen. Wir sind Trolle! Niemand kommt uns an Stärke gleich. Ich verfüge hiermit, dass von nun an und für alle Zeit Steine geworfen werden und Feuer nichts mehr an Bord von Trollschiffen verloren hat.« Er zog die Nase hoch und spuckte Orgrim vor die Füße. »Es gibt nur eins, was noch dümmer ist! Sich von einem Elfenschiffchen versenken zu lassen. Du warst doch gewarnt? Oder hat man dir etwa nicht von den Stahlspornen an ihren Schiffen erzählt? Du hättest besser auf die Donnerer Acht geben müssen, Welpe!«
    Auf der Enterbrücke erschien eine gebeugte Gestalt. Mit gichtkrummen Fingern hielt sie sich am Geländer fest.
    Alle Gespräche verstummten. Orgrim hatte Skanga, die große Schamanin seines Volkes, noch nie leibhaftig gesehen. Behutsam stieg sie die steile Holzbrücke hinab. Die Schamanin trug ein derbes Kleid, das mit so vielen Flicken besetzt war, dass man unmöglich seine ursprüngliche Farbe erraten konnte. Jeder ihrer Schritte wurde von Rascheln und leisem Klicken begleitet. Um ihren faltigen Hals hingen dutzende von Amuletten und Glücksbringern: kleine Figuren, aus Knochen geschnitzt, steinerne Ringe, Federn, ein vertrockneter Vogelkopf und etwas, das aussah wie ein halber Rabenflügel. Zahllos waren die Geschichten über ihre Macht. Es hieß, allein ihr Blick könne töten und sie lebe seit den Tagen, als die Alben noch unter ihren Kindern weilten. »Ich hoffe, du hattest einen guten Grund, mich rufen zu lassen.« Die Schamanin sprach mit leiser, ein wenig heiserer Stimme. Und doch war jedes ihrer Worte deutlich zu verstehen.
    »Der Rudelführer Orgrim glaubt, die Leiche der Tyrannin gefunden zu haben.« Branbart zog wieder die Nase hoch, doch diesmal spuckte er nicht aufs Deck, sondern trat kurz an die Reling.
    Skanga wandte sich Orgrim zu. Ihre Augen waren von dünnem weißen Schleim überzogen. Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Bring mich zu Emerelle, Welpe.«
    Es fühlte sich an, als streife ihn ein vertrockneter Ast. Die Finger der Schamanin waren hart und wirkten wie abgestorben. Ihre Nägel krümmten sich wie Bärenkrallen. Skanga sah zu ihm auf und blinzelte. »Ich kenne dich, Welpe. Komm zu mir, wenn die Kämpfe beendet sind.« Sie kicherte leise. »Orgrim ist also jetzt dein Name.« Dem Rudelführer zog sich der Magen zusammen. Er hatte davon gehört, dass sich die Schamanin manchmal junge, kräftige Krieger zuführen ließ. Es hieß, sie stahl von ihrer Lebenskraft.
    Er brachte sie zum Lager der Königin. Skanga schien trotz ihrer milchigen Augen nicht wirklich blind zu sein. Ohne dass er sie gewarnt hätte, machte sie einen weiten Schritt über den Leichnam des Schwertmeisters hinweg. Warum hatte sie seine Hand halten wollen? Um herauszufinden, ob er das rechte Opfer für ihre Blutmagie war?
    Die Schamanin legte der toten Königin ihre knotige Hand auf die Brust und tastete über das zerrissene Kleid. Dann stieß sie ein ärgerliches Grunzen aus und befühlte Emerelles Stirn. Die langen Nägel schnitten in das verbrannte Fleisch. Skanga murmelte leise vor sich hin. Orgrim verstand einzelne Worte. Sie befahl der Elfe zurückzukehren. Dabei hatte ihre Stimme etwas Dunkles, Widernatürliches. Der Rudelführer erschauderte. Plötzlich war es kühler geworden. Eine Bö eilte von der offenen See heran und rüttelte an der Takelage. Die Lippen der toten Königin zitterten. Ihr Mund klappte auf. Licht troff in zähen Fäden, so wie Honig, von ihren Mundwinkeln und strahlte durch die geschlossenen Augenlider. Ein herzerweichendes Wimmern war zu hören. »Widersetze dich nicht«, hauchte Skanga. »Ich habe dein Licht zurückgerufen, Elfe. Ich kann es halten, so lange ich will. Du spürst jetzt wieder die Qual des Augenblicks deines Todes. Dein verbranntes Fleisch. Die zerschmetterten Knochen in deinem Leib.«
    Das Wimmern wurde schriller. Die Augenlider der Toten flatterten. Orgrim wich einen Schritt zurück. In diesem Augenblick war er sich ganz sicher, dass alles stimmte, was er

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