Elfenzauber (Mithgar 1)
einstellen. Welchen dieser beiden – den geschrubbten und gescheuerten alten Mann, der auf einer Matte auf dem Boden lag und im Schlaf wimmerte, oder den verbundenen jungen Mann im Bett – ihre Vision gemeint hatte, konnte sie nicht sagen.
In einer Ecke saß Aiko mit dem Rücken zur Wand im Lotussitz auf einer Tatami, einer gewobenen Strohmatte aus dem Heim ihrer Familie in Ryodo, die sie auf allen Reisen begleitet hatte. Ihre Hände ruhten entspannt auf den Oberschenkeln. Ihre Augen waren geschlossen, wenngleich sie nicht schlief, sondern nur in tiefe Meditation versunken war. Sie trug nun eine schwarzseidene Tunika, und man konnte gerade noch die kunstvolle Tätowierung eines roten Tigers zwischen ihren Brüsten erkennen. Ihre Rüstung aus Leder und Bronze lehnte an der Spiegelkommode, aber ihre beiden funkelnden Schwerter lagen vor ihr auf der Matte. Ihre Haare waren noch nass von ihrem eigenen Bad, denn sie hatte sich selbst vom Makel der vielen Schmutzschichten des alten Mannes reinigen müssen.
Ein gequältes Stöhnen brachte Arin auf die Beine. Egil rührte sich und begann gleich darauf zu schreien und um sich zu schlagen, während seine Hände an den Verbänden zerrten. Sie eilte zu ihm und versuchte, ihn festzuhalten, aber trotz seines geschwächten Zustands hatte sie dazu nicht die Kraft. Aiko tauchte auf der anderen Seite des Bettes auf und ergriff einen Arm des Verwundeten. Egils eines Auge war weit aufgerissen, und in ihm stand der Wahnsinn. Er zischte in gedämpftem Zorn, aber betäubt, wie er war, konnte er die beiden nicht überwinden. Plötzlich erschlaffte er, fing an zu weinen und murmelte die Namen von Männern – »Ragnar, Argi, Bram, Klaen…« –, wobei seine Stimme immer leiser wurde, bis sein Auge sich schloss und er wieder bewusstlos wurde. Arin fühlte seinen Puls. Er schlug kräftig und regelmäßig.
Mit einer stummen Frage in den Augen sah Aiko die Dylvana an. »Orri sagte, er habe schlecht geträumt«, flüsterte Arin.
»Ist es ungefährlich, ihn loszulassen, Dara?«
Arin nickte. »Er ist wieder eingeschlafen.« Sie schaute durch das Fenster. Es war noch Nacht. »Ruht Euch weiter aus, Aiko. Ich werde Wache halten.«
Als das erste Tageslicht durch die Herbergsfenster fiel, stand Arin auf, reckte sich und ging dann zum Bett, um erneut Egils Puls zu fühlen. Dabei schaute sie in sein Gesicht und musste feststellen, dass sein verbliebenes Auge auf sie gerichtet war und sein Blick nun von Vernunft kündete. Der Wahnsinn war von ihm gewichen.
»Bin ich tot, edle Dame? Gestorben und jenseits des Himmels?«
Arin lächelte. »Nein, Egil, Ihr seid noch in Mithgar.« Egil legte eine Hand an seinen verbundenen Kopf. »Ich hätte es mir denken können. Ich habe viel zu starke Schmerzen, um tot zu sein. Obwohl Ihr wie ein Angil ausseht.«
»Angil?« Arins Gesicht umwölkte sich einen Moment. Dann lachte sie. »Ah, ich verstehe: wie jemand, der jenseits des Himmels lebt.«
Ein schwaches Lächeln glitt über Egils Züge, dann stöhnte er und richtete seinen Oberkörper auf. »Wo bin ich? Wer seid Ihr? Ich weiß nur noch, dass die verdammten Jüten uns verfolgt haben und Brandpfeile um uns herumschwirrten wie Fliegen um einen Misthaufen.«
Arin begann mit der Zubereitung eines Tranks, indem sie abgestandenes Wasser auf ein weißes Pulver in eine Tasse goss und dann umrührte. »Ihr hattet hohes Fieber.«
Wiederum berührte Egil die Verbände um seinen Kopf, fuhr mit den Fingern die Wange entlang bis unter das Kinn und wieder zurück. »Ich frage mich, ob die Klinge vergiftet war.«
Arin schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Schmutzig vielleicht, aber nicht vergiftet. Eure Kameraden haben es richtig gemacht und die Wunde mit Salzwasser behandelt. Das hat zwar allen Schmutz aus der Wunde gespült, aber erst, als schon etwas davon in Euer Blut gelangt war und Ihr unter den Auswirkungen zu leiden hattet. Doch nun seid Ihr auf dem Weg der Besserung, denn Thar und ich haben die Wunden und das Fieber behandelt.«
»Thar? Der Heiler Thar? Dann bin ich in Mørkfjord?« Egil sah sich in dem Raum um.
»Genau. In der Schwarzstein-Herberge.«
Egils Auge weitete sich beim Anblick Aikos, die so reglos wie eine Statue aus Gold dasaß, und des alten Mannes, der auf dem Boden schnarchte und dessen Finger im Traum an der Matte zupften. »Ich frage Euch noch einmal: Wer seid Ihr, und wer sind Eure Begleiter?«
»Ich bin Arin, Dylvana aus Darda Erynian, dem Grünen Haus.«
Zum ersten Mal sah
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