Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
Fiorellina?«
Nadja sah das Krankenhaus bereits vor sich. Um zur Ruhe zu kommen, setzte sie sich auf eine Bank an der Grünfläche des Boulevard d’Algerie. Sie erzählte ihrem Vater von dem verlassenen Engpass mit Sackgasse.
»Was hat das zu bedeuten, Papa?«, fragte sie zum Schluss. »Du hast doch mal Zauberkunststücke vorgeführt. Bin ich so einem Trick aufgesessen? Einem von der Sorte, bei der man Elefanten von der Bühne verschwinden lässt?«
Fabio Oreso war in jungen Jahren ein Hansdampf in allen Gassen gewesen. Er hatte sich in den verschiedenartigsten Berufen versucht, unter anderem als Zauberer. Vorwiegend war er auf Kindergeburtstagen aufgetreten, wobei die Mütter nicht selten gern mit dabei waren, wenn der fesche junge Mann von knapp zwanzig Jahren in Frack und Zylinder daherkam.
»Unsinn, das funktioniert doch nicht in so einer Gasse.«
»Aber dann sag mir, was habe ich gesehen? Oder nicht gesehen? Ein Spiegeltrick wird es auch kaum sein, oder?«
»Nicht anzunehmen. Mi senti, Nadja, hör mir zu. Es gibt sicher eine vernünftige Erklärung für das alles, abseits vom Mystizismus. Ich weiß, es fällt dir nicht leicht, Fehler zuzugeben, aber ich glaube, das war einer. Du hast dich so sehr hineingesteigert, dass du Traum und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten kannst. Du fängst an, die Welten zu vermischen. Das bedeutet, dass dein Gehirn die falschen Synapsen miteinander verbindet und dir Dinge vorgaukelt, die du gern sehen möchtest, die aber nicht da sind.«
Nadja hörte zu. Sie hörte ganz genau zu und schwieg. Ihr Vater wusste immer auf alles Rat, er verlor nie seine besonnene Ruhe, und ihn konnte nichts erschüttern.
Fabio Oreso war der ruhende Pol in Nadjas ruhelosem Leben, um den sie wie ein Magnet kreiste, der ständig angezogen, aber auch abgestoßen wurde, um nichts von der bunten Welt draußen zu versäumen. Seine Beständigkeit war es, die sie bei der Stange hielt und davor bewahrte, allzu große Dummheiten zu machen. Solange Nadja zurückdenken konnte, hatte sie sich bei ihrem Vater anlehnen können. Und erst recht ausweinen. Er war ihr bester Freund, dem sie rückhaltlos vertraute.
»Dann soll ich das Ganze vergessen?«, meinte sie zögernd. Sie erschauerte unter einem plötzlichen Windstoß, der herbstlich kalte Luft mit sich brachte.
Irgendwo musste es geregnet haben, es roch nach vermodernden Blättern und Feuchtigkeit. Die Bäume schüttelten sich ebenfalls, als fröstelten sie und versuchten, sich mit ihren Blättern zu schützen.
»Konzentriere dich auf das Wesentliche«, riet Fabio. »Denk an deinen Auftrag. Dieser Boy X oder wie auch immer er heißen mag, ist real, du weißt, wo er ist. Finde heraus, was ihm fehlt, das könnte eine Sensation sein. Denn wenn er weder Drogen noch Alkohol zu sich nimmt, muss es eine tückische Erkrankung sein, die vorher nicht aufgetreten ist. Vor allem, wenn sogar sein Bruder ratlos ist … Zumindest könntest du eine interessante, menschliche Story daraus machen. Wenn du an seine Familie herankommst, natürlich nur. Bring in Erfahrung, ob dieser Song trotzdem starten wird. Dann ist dein Magazin ganz vorn. Und wenn diese Rian etwas mit ihm zu tun hat, wird sie wieder auftauchen. Dann musst du sie irgendwie festnageln. So wird sich eins nach dem anderen lösen lassen.«
»Ja. Du hast recht.« Sie seufzte. »Wie immer, Papa. So werde ich es machen. Wahrscheinlich ist meine romantische Ader mit mir durchgegangen, denn so kenne ich mich gar nicht. Aber wenn du wüsstest, was für Empfindungen ich habe …«
»Nadja …« Fabios Stimme wurde noch weicher. »Du bist zu viel allein. Was du suchst, bist im Grunde doch nur du selbst. Egal, ob du nun in Paris, Rom oder sonst wo bist.«
»Papa, das haben wir …«
»Ich weiß. Geh nicht gleich hoch, ich will dich nicht nerven. Ich will dir nur sagen, was ich für einen Eindruck habe. Ich weiß, du willst dich nicht binden. Aber dein Herz will es. Also finde einen Mittelweg, va bene?«
»Okay. Ich halte dich auf dem Laufenden, wie sich das hier weiterentwickelt.«
»Ich freue mich immer, wenn du anrufst«, sagte er versöhnlich. »Ich vermisse dich. Außerdem bin ich selbst gespannt. Das ist bisher das Verrückteste, was du mir je aufgetischt hast.«
Väter
, dachte Nadja, als sie das Handy einsteckte und aufstand.
Irgendwie sind sie genau wie Mütter. Letztlich läuft es immer aufs selbe hinaus: Wann heiratest du und gründest eine Familie? Dabei hat er ja selbst erst sehr spät
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