Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
angefangen, wenn man es genau nimmt
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Nadja war fünfundzwanzig, ihr Vater dreiundsechzig. Wobei er körperlich sehr viel jünger wirkte, sein Körper war straff und sehnig, im Gesicht hatte er hauptsächlich Lachfältchen. Wenn er nicht weiße Haare gehabt hätte, hätte man ihn auf Anfang fünfzig schätzen können. Er war beredt und gebildet, und er konnte gut Geschichten erzählen. Durch seine Größe und seine goldbraunen Augen machte er ziemlichen Eindruck auf Frauen, und wenn er erst lächelte und anfing, in seiner typisch italienisch singenden Ausdrucksweise zu parlieren, scharten sich die Verehrerinnen nur so um ihn. Aber dabei blieb es dann auch. Nadja war sicher, dass ihr Vater gelegentlich ein Abenteuer hatte, denn er war vital; aber eine Beziehung war er nie eingegangen, so weit sie zurückdenken konnte.
Nadja grinste in sich hinein.
Eines Tages, wenn ich genug getrunken habe und mich traue, sage ich ihm, dass er ebenfalls bindungsscheu ist und über mich nicht zu reden braucht
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Sie straffte ihre Haltung, ignorierte die schmerzenden Fußballen und ging auf die Klinik zu. Es wurde Zeit, dass sie weiterkam.
7 In der neuen Welt
Irgendetwas kreischte und pfiff laut, fast wie ein Horn, und Dafydd packte Rhiannon und riss sie zurück, als etwas Dunkles, Schweres an ihr vorbeisauste. Ein Menschenkopf ragte aus einem Fenster: Den Mund weit aufgerissen, schrie er mit sich überschlagender Stimme. Die Zwillinge verloren beinahe den Halt, als sie angerempelt und geschubst wurden, und sie stolperten verstört zur Seite, drückten sich an eine dicke bunte Säule und sahen sich mit großen Augen um.
»Was ist das hier?«, flüsterte Rhiannon verstört. Der Grogoch klammerte sich zitternd an ihr linkes Bein und hielt die Augen fest geschlossen.
»Wir sind durch ein falsches Portal gegangen!«, rief Dafydd.
»Nee«, sagte Pirx, dessen Nase nervös zuckte, als er versuchte, dem eiligen Schieben und Drängen zu folgen. »Ich glaub, das is’ schon Paris. Also, die Häuser da, so ähnliche hab ich gesehen. Nur war das alles ganz anders, als ich das letzte Mal hier war. Ich meine, da waren Pferde und Kutschen und alles viel langsamer … Das is’ doch gar nicht so lange her …«
Rhiannon konnte nicht sagen, welche Art von Welt sie erwartet hatte. Große Städte wie in der Menschenwelt, mit einer Million oder sogar noch mehr Einwohnern, gab es bei den Elfen nicht. Deshalb fehlte ihr in dieser Hinsicht die Vorstellungskraft. Aber das hier war schlimmer als alles, was sich ein Elf vorstellen konnte. Wahrscheinlich schlimmer als das Schattenland, der schrecklichste Ort von allen. Es galt als die grausamste Bestrafung für einen Elfen, dorthin verbannt zu werden. Bisher …
Die Prinzessin hielt sich die Ohren zu. Der Lärm erschütterte sie bis ins Mark und schmerzte geradezu. Sämtliche Geschmackssinne wurden aufs Empfindlichste beleidigt, so sehr stank es. Rhiannon konnte nicht sagen, wonach es stank, denn sie hatte so etwas noch nie gerochen. Ihre Kehle war gereizt, und sie musste husten. Die Nase lief, und die Augen tränten – aber was gab es schon zu sehen? Irgendwie war alles grau. Keine grünen Wiesen und Parkanlagen, nur ein paar kleine Bäume, die aus hartem, steinigem Boden wuchsen.
Und Menschen! Mehr Menschen, als es in der Elfenwelt Kaninchen gab. Massen von Menschen, die durcheinanderrannten, eilten und hasteten. Sie stürmten an ihnen vorüber, drängelten und schoben sich. Sie blickten grimmig, kaum fröhlich, und irgendwie sahen alle gleich aus. Die Haut dick, teigig und schlaff, kein Glanz lag darauf, die Augen waren stumpf und leer. Nichts von der Grazie und Anmut eines Elfen. Schreckliche Wesen, primitiv und nichtssagend, die keinen zweiten Blick lohnten, kaum einen ersten.
»Was wolltest du hier?« Rhiannon blickte fassungslos auf den Pixie. »Das ist eine schreckliche Welt!«
»Gehen wir zurück«, schlug Dafydd angewidert vor.
»Ich bin auch dafür«, sagte der Grogoch zitternd.
»Nee«, sagte Pirx. »Schauen wir uns doch erst mal um! So schlimm ist es gar nicht.«
Ein Hund näherte sich, eine kurzbeinige schwarze Töle, die interessiert an Dafydds Bein schnuffelte und dann das Bein hob. Dafydd reagierte gerade rechtzeitig und kickte den Hund davon. Das Tier heulte auf und verschwand mit eingezogenem Schwanz.
»Es ist schlimmer«, erklärte der Prinz.
In diesem Moment steuerte eine ältere Frau mit grauen Haaren und Kopftuch auf ihn zu, ihre kläffende schwarze Töle im Arm, und
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