Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs - Kern, C: Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs
war alles andere als feinfühlig gewesen. Manchmal vergaß er, dass sie kein Mensch war.
Schweigend gingen sie weiter. Die Obdachlosen folgten ihnen, verwirrt und verängstigt. Emma und Krücke schienen den Angriff als Einzige verarbeitet zu haben. Krücke achtete darauf, dass die Menschen zusammenblieben, während Emma immer wieder andere tröstete.
»Schon mal daran gedacht, einen Artikel über die Tunnel zu schreiben?«, fragte er Nadja nach einer Weile.
»Nein, aber es wäre eine tolle Geschichte.« Sie schien froh zu sein, dass er sie von ihren Gedanken ablenkte. »Eine Subkultur unter der Hauptstadt. Menschen, die sich vollständig aus der Gesellschaft zurückziehen, weil sie mit dem Leben darin überfordert sind. Das könnte ich glatt an
Die Zeit
verkaufen.«
Robert schüttelte den Kopf. »Nein, zu intellektuell. Nimm ’nen Privatsender. Drogen und Gewalt hast du schon gefunden, und Sex gibt es hier bestimmt auch.«
Sie stieß die Luft aus, ein halbes Lachen, das ihn freute.
Anne drehte sich um. »Robert? Würdest du zu mir kommen und den Gang ausleuchten?«
Der Tunnel war so schmal, dass nicht mehr als zwei Leute nebeneinander passten. Robert war schon oft aufgefallen, dass es Anne nicht gefiel, wenn er mit Nadja sprach. Er fragte sich, ob sie eifersüchtig war oder ob er ihr erneut eine Menschlichkeit unterstellte, die sie nicht besaß.
»Was ist los?«, fragte er, als er neben Anne trat.
»Unsere Stimmen klingen anders.«
Robert leuchtete in den Tunnel hinein. Der Lichtstrahl glitt über unebenen, kahlen Stein, dann in einen Raum hinein, der so groß war, dass er sich darin verlor.
Anne blieb stehen. »Etwas ...« Sie zögerte und schüttelte den Kopf. »Zu viel Lärm. Ich kann nichts hören.«
Die Vampirin deutete auf die Gruppe hinter ihr. Kleidung raschelte, die Menschen husteten, atmeten, unterhielten sich manchmal flüsternd.
»Was seht ihr?«, fragte Nadja.
Im gleichen Moment wurde es gleißend hell. Robert riss den Arm hoch, um seine Augen zu schützen. Menschen schrien, Anne duckte sich, Nadja wich zurück. Ein Hund begann zu bellen.
»Buh«, sagte Toby.
Robert blinzelte in die Helligkeit. Tränen liefen über seine Wangen. Ein Dutzend Taschenlampen erleuchteten den Tunnel, doch die Gestalten dahinter konnte er nur schemenhaft ausmachen.
»Wir dachten, wir hätten uns verlaufen«, fuhr Toby fort. Er strahlte sein Gesicht von unten an, als wolle er eine Geistergeschichte erzählen. »In dem Raum wollten wir uns nur ausruhen, eine rauchen und so, aber dann hörten wir euch. Ihr seid wohl woanders abgebogen als wir.«
Er grinste. Im Strahl der Taschenlampe wirkten die Schatten in seinem Gesicht wie tiefe Wunden. »Aber alle Wege führen zu Toby.«
»Mann, Alter«, erklang Vics Stimme. »Hör auf zu labern.«
Robert sah zu Anne. »Schaffen wir die?«, fragte er leise und hoffte dabei, dass Nadja ihn nicht hörte.
»Der Gang ist schmal. Sie können uns nicht umzingeln.« Sie erwiderte seinen Blick. »Ich denke schon.«
Er hörte Unsicherheit in ihrer Stimme. Ihre eigenen Fähigkeiten konnte sie einschätzen, seine jedoch nicht.
Wir werden sehen
, dachte er.
Einige Obdachlose flohen zurück in den Tunnel, doch die meisten blieben stehen. Sie hatten die Angst satt, das spürte Robert.
»Komm doch her, Arschloch«, rief Krücke aus ihrer Mitte.
»Einer nach dem anderen«, erwiderte Toby. Er legte sich den Baseballschläger über die Schulter. Die Taschenlampe richtete er immer noch auf sein Gesicht. »Jeder kommt dran.«
Robert zuckte zusammen, als plötzlich eine Hand vor Tobys Gesicht auftauchte. Sie bedeckte seinen Mund und seine Nase, grub ihre Finger in seine Wangen – und zog.
Es knackte. Toby ließ die Taschenlampe fallen. Sie rollte über den Boden, riss Schuhe und Hosenbeine aus der Dunkelheit und schließlich Tobys verzerrtes, bleiches Gesicht.
Er war tot.
»Was ...«, begann Robert, unterbrach sich jedoch, als die Schreie begannen und die Lichter vor seinen Augen auf und ab zuckten. Unwillkürlich machte er einen Schritt auf das Schauspiel zu.
Anne hielt ihn mit einer Hand zurück. »Misch dich nicht ein«, sagte sie.
»Weißt du, was hier los ist?«
Sie schwieg.
Es war schnell vorbei. Die Schreie dauerten fünf, vielleicht zehn Sekunden, dann brach der letzte ab. Taschenlampen lagen zwischen Leichen am Boden. Einige waren ausgegangen, andere leuchteten flackernd die Wände an.
Robert hörte Schritte auf dem Stein. Eine Gestalt begab sich an den Leichen vorbei
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