Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Masken, alle angeblich handgearbeitet. Zur Probe betrat Nadja eines der Geschäfte und sah sich um. Tatsächlich versteckten sich schön gearbeitete Masken zwischen dem Touristenplunder, und sie stellte sich vor, wie sie mit der einen oder anderen auf dem Karneval von Venedig aussehen würde. Die Chancen, im Februar hier zu sein, standen zwar schlecht, aber es wäre sicherlich einmal eine interessante Erfahrung.
In einer nahezu dunklen Ecke, wohin sich bestimmt kein Tourist verirrte, entdeckte Nadja die schönsten Masken, über denen Bilder hingen, Drucke alter Stiche, die Darsteller der Commedia dell’ Arte zeigten.
Die Journalistin war so in ihre Gedanken versunken, dass sie zusammenfuhr, als die Verkäuferin sich ihr näherte. Eine kleine, dünne Frau mit brauner Haarmähne und großen dunklen Katzenaugen. Sie trug genau die zigeunerhafte Kleidung, die man in so einem Laden erwartete. »La Commedia dell ’Arte«, sagte sie und deutete auf die Bilder.
»Ja, wunderschön«, antwortete Nadja. »Der Zauber einer vergangenen Welt.«
Die Augen der Frau blitzten auf, als sie das fließende Italienisch hörte. »Nicht nur«, sagte sie. »Sie ist in die Moderne transportiert worden, und die Masken haben sich verändert. Aber sie sind immer noch dieselben.«
»Handgearbeitet?«
»Sì, tutti. Mit Zertifikat. Wollen Sie eine verschenken?«
»Wenn, dann würde ich eine für mich kaufen.«
»Per Lei? Ma no. Nein, nicht für Sie.« Die Frau lächelte. »Sie sind Colombina, das listige, selbstbewusste und verführerische Weib, lebenslustig und dominant. Colombina braucht keine Maske; sie ist, was sie ist.«
Nadja war verlegen. »Auf diese Art werden Sie nicht viele Masken verkaufen.«
»Aber ja, jeder bekommt von mir genau das, was er braucht und was zu ihm passt. Sie sollten Ihre Schönheit nicht verstecken. Allein Ihre Augen überstrahlen jedes Licht.«
Der Charme der Italiener – und die Venezianer trugen noch eine zusätzliche Schicht auf. Nadja wusste nicht, ob sie lachen oder verärgert sein sollte. Andererseits schien die Frau es ernst zu meinen; weder in ihrer Stimme noch in den Worten lag Ironie, auch nicht in den Mundwinkeln.
»Sind Sie zu Besuch oder nach Hause gekommen?«
»Zu Besuch. Mein erster.«
»Ah, verstehe. Sie wollen nicht, dass man Sie bemerkt, deswegen die Maske. Hm.« Die Frau wühlte sich durch die vielen Masken, die sich in dem engen Geschäftsraum drängten, und brachte Nadja schließlich eine handgefertigte aus bronzefarbenem Leder. Eindeutig eine Frauenmaske, die die Augen, die Nase und die rechte Gesichtshälfte bedeckte, mit Brauen aus Federn. Damit wurde jede Frau schön.
»Wow«, machte Nadja. »Die ist wirklich traumhaft. Und wenn man in Venedig ist, sollte man unbedingt eine Maske kaufen, nicht wahr?«
»Setzen Sie sie auf. Hier ist ein Spiegel.«
Nadja gehorchte. Sie hatte die Maske kaum aufgesetzt, als sie das Gefühl überkam, dass sich ihre Wahrnehmung verschob. Der Laden wirkte plötzlich sehr viel größer, als würde er nicht hinter ihr an der Wand enden, sondern … in einen langen, dunklen Gang münden. Sie versuchte, über den Spiegel einen Blick auf die Verkäuferin zu erhaschen, doch diese hielt sich geschickt außerhalb. Und Nadja selbst … nun, sie wusste nicht, wer ihr da aus dem Spiegel entgegenblickte. Sich selbst erkannte sie nicht. Nicht nur das; je länger sie hineinblickte, desto mehr verschob sich der Blickwinkel, weg von ihr. Nadja glaubte zu sehen, wie sich der Gang hinter ihr zu etwas anderem öffnete. Zu einem Saal oder so etwas, mit spiegelndem Boden und einem künstlichen Himmel mit schwarzen Wolken. Nein … das war kein geschlossenes Gebäude. Es war ein Land!
In der Ferne erblickte Nadja ein bizarres Schloss aus Fels und Kristall, das wie eine abstrakte Blüte geformt war. Die Perspektive stimmte überhaupt nicht und erzeugte ein Schwindelgefühl. Nadja erblickte seltsam schräge Schatten oder Gestalten und dann … einen zweiten Spiegel, in dem sich ein fremdes Gesicht zeigte. Es war sehr verschwommen, aber Nadja erkannte sofort die Augen, kristallgrün und durchdringend, mit einem schrecklichen Ausdruck, der ihr augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Die Frau
, deren Augen Nadja schon in Paris in einem Spiegel entdeckt hatte. Im selben Moment bemerkte auch die Fremde sie und fuhr zu ihr herum, als stünde Nadja direkt hinter ihr.
Die Journalistin wich zurück und riss sich mit einem Schrei die Maske vom Gesicht. Heftig atmend
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