Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
stand sie im Laden, und alles war wieder normal. Einige Touristen bedachten sie mit scheelen Blicken und verzogen sich in eine andere Ecke.
Die Verkäuferin kam eilig herbei. »Was ist, Signorina?«
»Nichts, ich … mir wurde nur auf einmal schwindlig, ich habe wohl zu wenig gegessen«, stieß Nadja hervor. »Tut mir leid.«
Die Frau musterte sie prüfend. »Brauchen Sie ein Glas Wasser?«
Nadja schüttelte den Kopf. Sie hielt der Verkäuferin den ledernen Gesichtsschmuck hin. »Ich glaube, ich brauche wirklich keine Maske.«
»Nehmen Sie sie«, sagte die Verkäuferin eindringlich. »Das ist Ihre Maske. Sie ist von großem Nutzen für Sie.«
»Nein«, sagte Nadja energisch und wollte gehen.
Die Frau sah sich schnell um, dann hielt sie Nadja auf und näherte sich ihr. »Fünfzig Euro, das ist der Herstellungspreis. Ich würde Ihnen die Maske schenken, aber das darf ich nicht. Sie kennen die Gesetze noch nicht, aber Sie werden es eines Tages verstehen.«
»Wovon sprechen Sie …«, begann Nadja, der es eiskalt den Rücken hinunterlief.
»Sie wissen es«, flüsterte die Frau. »Ich bin keine von
denen
, sondern eine Grenzgängerin, so wie Sie. Ich erkenne viele Dinge, die andere nicht sehen können. Mehr als Sie, Signorina, denn ich kann in Gesichtern und Händen lesen.«
»Hören Sie auf …«, wisperte Nadja schwach.
»Sie können nicht zurück. Hat man einmal den Pfad betreten, gibt es keine Umkehr, nie wieder. Also nehmen Sie meinen Rat an. Kaufen Sie die Maske. Sie werden wissen, wann Sie sie einsetzen müssen.«
Die Frau sprach wie gehetzt. »Und da ist noch etwas. Es wird einen Maskenball geben. Gehen Sie hin und tragen Sie das Kostüm der Colombina. Dann werden Sie Antworten auf viele Fragen finden.« Sie hob die rechte Hand. »Sie sind von großer Bedeutung. Es ist kein Zufall, dass Sie meinen Laden betreten haben. Es hat Sie hierher gezogen, damit ich Ihnen den Weg weise. Gehen Sie jetzt mit mir zur Kasse, und dann machen Sie sich weiter auf die Suche.«
»Also schön …« Nadja begriff, dass ihr nichts anderes übrig blieb. Sie musste die Dinge geschehen lassen; seit der ersten Begegnung mit den Elfen hatte sie keinen Einfluss mehr auf ihr Schicksal. Ihr blieb nur der Versuch, möglichst heil wieder aus dem Abenteuer herauszukommen.
Während die Verkäuferin den Betrag eintippte, fiel Nadja noch eine Frage ein. Zugleich ein Test, ob die Frau wirklich war, was sie zu sein vorgab. »Gibt es hier eine Spur zum Quell?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Dies ist die Stadt des Todes, Signorina, hier findet niemand Unsterblichkeit. Es gibt Leute, die versuchen sich in schwarzmagischen Künsten und zögern den Tod hinaus, halten ihn draußen vor ihrer Tür ab, doch mehr ist es nicht. Irgendwann erhält der Tod doch Zutritt, und sie werden dafür büßen, sich gegen die Bestimmung der Sterblichkeit aufgelehnt zu haben.«
»Aber es gibt Leys hier? Kraftfeldlinien?«
»Ja, sogar einen sehr starken Knoten. Venedig ist ein Zwischenreich, erbaut auf schwammigem Grund, der die Grenze darstellt. Folgen Sie den Masken, Signorina. Und … lassen Sie sich nicht von der
tristezza
beeinflussen.«
»Kann ich noch einmal vorbeikommen, wenn …«
»Nein. Sie werden meinen Laden nicht noch einmal betreten. Das ist zu gefährlich, vor allem für mich.«
Nadja nickte. »Gut. Danke, und alles Gute.«
»Viel Glück, Signorina«, sagte die Frau mit einem seltsamen Anflug von Trauer. Sie packte eine kleine schwarze Augenmaske in die Tüte und reichte sie Nadja. »Sie werden es brauchen.«
Nachdem die letzten Kunden gegangen waren, schloss Paola Lunghi die Ladentür für die Mittagspause ab und räumte die Masken zusammen. Von draußen fiel die Mittagssonne herein und zauberte Schattenfresken an die wenigen freien Stellen der Wände. Sie wollte draußen sein, bevor die Schatten anfingen, sich zu bewegen. Soeben war sie dabei, den Laden zu verlassen, als die Tür sich von außen öffnete – was unmöglich war; Paola war sicher, abgesperrt zu haben.
Ein hünenhafter Mann mit langem Mantel betrat das Geschäft, sein Gesicht unter einem Hut verborgen. Er sah aus wie ein zu groß geratener Alain Delon in dem französischen Klassiker
Borsalino
, und nicht minder Furcht einflößend.
»Wir haben geschlossen«, sagte Paola höflich, aber bestimmt. »Bitte kommen Sie in zwei Stunden wieder.«
»Ich bleibe nicht lange«, sprach der Mann mit schauerlicher, heiserer Stimme, und ein Kältehauch, der nicht vom November
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