Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
Decke löste sich die bunte Seidentapete, manche Stellen waren unsachgemäß ausgebessert worden, und in den Winkeln hatten sich durch feuchtes Mauerwerk Stockflecken gebildet. Die Stufen waren ausgetreten vom vielen Auf und Ab. Nadja kam sich vor wie im Film, und jeden Moment erwartete sie, dass sich irgendwo eine Falltür auftat, Poltergeister auftauchten oder ein Lüster von der Decke fiel.
Wenigstens funktionierte die Heizung, es war angenehm warm. Das brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Wen hast du damit beauftragt, alles für unsere Ankunft vorzubereiten?«
»Den Nachlassverwalter, der zugleich die Rechtsstreitigkeit vor Gericht vertreten hat. Er ist ebenfalls ein Oreso, aber aus einem weit entfernten Zweig.«
»Scheint eine ziemlich große Familie zu sein.«
»Ja, und sehr alt.«
Nadja dachte nach. »Aber wenn es von Vorfahren meiner Mutter stammt, wieso heißt es dann Ca’ d’Oreso?«
»Julias Mutter bekam das Haus als Mitgift«, antwortete Fabio. »Es war eine Tradition der Familie, dass nur weibliche Nachkommen eines bestimmten venezianischen Zweigs das Haus erbten. Der erste, der das ursprüngliche Haus in Besitz nahm und zu diesem hier ausbaute, war ein Oreso, und so blieb es über die Generationen hinweg immer bei dem Namen.«
Julia. Der Name von Nadjas Mutter, die gestorben war, als Nadja noch ein Baby gewesen war. Nadja hatte nichts von ihr, keine Fotografie, nicht einmal einen Namen auf einem Grab. In all den Jahren hatte Fabio den Namen seiner Frau höchstens fünfmal genannt.
»Aber wenn du das Haus bekommen hast, wurde mit der Tradition gebrochen«, wandte Nadja ein.
»Nicht ganz«, sagte Fabio vorsichtig. »Offen gestanden, habe ich es nicht richtig geerbt. Julia hat mir zwar alles hinterlassen, insofern gehörte auch der Rechtsstreit dazu. Was das Haus betrifft, ist in meinem Fall aber ein Legat, eine Verfügung, daran geknüpft.«
Nadja blieb auf dem vorletzten Treppenabsatz stehen. »Redest du von mir?«, fragte sie ungläubig. »Vergiss es! Ich will das Haus nicht. Nicht auf diese Weise, außerdem habe ich damit nur einen Klotz am Bein, ganz abgesehen davon, dass ich es mir nicht leisten kann.«
»Darüber werden wir noch reden.« Fabio hob beschwichtigend die Hände. »Sieh dich erst mal um, leb dich ein und gewöhn dich daran.«
Nadja spürte, wie ihre Nase zu jucken anfing; das geschah immer, wenn sie zutiefst empört war. »Du hast vielleicht Nerven«, zischte sie ihren Vater an. »Was bildest du dir eigentlich ein, wie du mit mir umspringen kannst? Ich bin kein Kind mehr, das deiner Willkür ausgeliefert ist!«
Zornig wandte sie sich ab und stampfte die letzten beiden Stufen hinauf, stieß die Tür zum erstbesten Zimmer auf und ging hinein. »Wir sprechen uns noch!«, schrie sie auf den Gang hinaus, bevor sie die Tür zuschmetterte.
3 Die magische Stadt
D
as Zimmer ist in Ordnung
, stellte Nadja fest. Ein neues Bett, saubere Wäsche. Keine Tapete, sondern in freundlichem Beige gestrichene Wände, mit Stuckleisten an den Kanten. Kleiderschrank mit Spiegel, eine kleine Sitzgruppe, Bücherregale – und alles aus Holz. Eine Fenstertür, die auf einen kleinen Balkon führte. Nicht so liebevoll gearbeitet wie auf der Rückseite des Hauses, aber dafür hell und mit Blick auf die Gassen. Die hohen Decken erweckten ein Gefühl von Würde und Alter.
Auf dem Tisch stand eine kleine blaue Muranovase mit einer weißen Chrysantheme, und ein Zettel, auf dem in leicht krakliger Handschrift »benvenuti« stand. Kaum zu glauben, wie hervorragend die Organisation geklappt hatte. Nadja musste ihrem Vater Respekt zollen. Anscheinend verdiente der Nachlassverwalter sein Vertrauen, der sich wiederum bestimmt auf das Erstellen der Rechnung freute.
Pirx kam herein, das Gepäck im Schlepptau, ächzend und fluchend. »Ein Sklaventreiber ist das, der Grog«, beschwerte er sich.
Nadja hob den überraschten Pixie hoch und drückte ihn kurz an sich. »Danke. Was würde ich nur ohne dich machen?«
Pirx war so verdattert, dass er ausnahmsweise einmal nicht schnoddrig wurde, sondern übers pfiffige Gesichtchen nur so strahlte, »keine Ursache« piepste und pfeifend nach draußen stolzierte.
Nadja packte ihre Sachen aus und versorgte den Laptop mit Strom. Robert hatte auf ihre SMS natürlich nicht geantwortet. Aber ihm würde sie sich später widmen.
Langsam schritt sie die Wände des Zimmers ab, berührte sie, legte das Ohr daran, erschnupperte den Geruch der alten Farbe.
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