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Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Titel: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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lassen.
    Die Tür öffnete sich leise, quietschend. Julia tat es so sachte, als wüsste sie ganz genau, wer dort auf sie wartete. In ihrem fast bodenlangen, bauschigen Nachtkleid trat sie auf den Balkon. Mit einer Hand hielt sie das Nachtlicht vor sich. Sie schützte die Flamme mit ihrem Körper gegen den auffrischenden Wind, beugte sich über die Balustrade hinab und sah sich um.
    »Hier!«, flüsterte ich leise und schob meinen Kopf ein Stückchen aus den Schatten. Ich war weniger als eine Körperlänge von ihr entfernt. Eine Mischung aus einander widersprechenden Gefühlen befiel mich: Angst, Sehnsucht, Erleichterung – und wiederum Angst.
    Julia zuckte zusammen, wich einen Schritt vor mir zurück. Das Licht in ihrer Hand erlosch. »Ihr!«, sagte sie. »Ihr dürftet nicht hier sein! Wenn Euch Vater oder Tybaglio erblicken ...«
    »Das schert mich nicht. Ich ... ich ...« Mir, dem Elfen, der allein mit seiner Stimme Kriege entfachen oder beenden konnte, fehlten mit einem Mal die Worte.
    »Sagt mir, woher ich Euch kenne.« Julia kam näher. »Seit ich Euch sah, geht Ihr mir nicht mehr aus dem Kopf. Habt Ihr etwa einen besonderen Zauber über mich gelegt?«
    Ich konnte sie riechen; dieser Duft nach Moschus und jugendlicher Frische erinnerte mich an ihre früheren Körper. An Estella, an die römische Julia, ja selbst an die namenlose Frau, die ich in den Ruinen Samarkands gefunden hatte.
    »Wir sind uns vor langer Zeit begegnet«, sagte ich vorsichtig. »Du hattest ein anderes Aussehen; du warst auch eine andere. Und dennoch ...«
    »Ich habe seltsame Träume«, unterbrach mich Julia sinnend. »Sie sind so lebendig und so kräftig, als wären sie weit mehr als Bilder, die uns Morpheus schenkt. Und stets haben sie dich zum Gegenstand.« Sie war nun ganz nahe, beugte sich zu mir herab. Sachte berührte ihre Hand mein Gesicht. Sie fuhr meine Linien entlang, tastete über Lippen, Wangen und Augen.
    Ihr Körper erschauderte. »Bist du ein Sendbote des Teufels?«, fragte sie. »Willst du mich verführen, damit ich von jenem Weg abweiche, der mir vorherbestimmt ist, und du mir meine Seele stehlen kannst?«
    »Deine Seele stehlen?« Ich lachte leise. »Ich wollte, ich hätte die Kraft, sie an meine Seite zu bannen, liebste Julia.«
    Unter uns wurden Stimmen laut. Ich zog Julia zu mir herab, in den Schatten des Balkons, und umarmte sie beschützend, auch wenn es gar keinen Grund dazu gab. Como und Luigi der Warzige hatten sich bloß auf einem ihrer seltenen Rundgänge getroffen. Sie wechselten ein paar Worte, bevor sie weitergingen.
    Julia jedoch blieb bei mir, eng an meinen Leib gekuschelt. Die anfängliche Spannung in ihrem Körper ließ nach. Sie lehnte sich gegen mich, als hätte sie ihr ganzes Leben lang auf diesen einen Augenblick gewartet.
    »Ich möchte dir eine Geschichte erzählen«, sagte ich und streichelte über ihr Haar. »Hab ein wenig Vertrauen zu mir und versuche zu glauben, was ich zu sagen habe.«
    »Ja«, murmelte sie, und ihre kleinen Hände schoben sich in die meinen. Sie fröstelte. Ich legte meine Jacke schützend über ihren Oberkörper, drückte ihr zögernd einen Kuss auf die Stirn und begann zu berichten. Aus früheren Zeiten. Aus Epochen, die das Menschengeschlecht längst vergessen hatte, die aber in meinen Erinnerungen so frisch geblieben waren, als wären sie erst gestern gewesen ...
    Die Nachtigall, die meine Erzählungen mit ihrem Gesang begleitet hatte, verstummte abrupt. Erschrocken blickte ich über die Brüstung hinab. Im Osten graute der Morgen, und verschlafen klingende Stimmen wurden auf den Fußwegen Mazorbos laut.
    »Ich muss gehen!«, sagte ich. Morocutti saß sicherlich schon halb erfroren in seinem Ruderboot und wartete auf mein Zeichen.
    »Warte!« Julia klammerte sich an mich. »Ich möchte nicht, dass du gehst!«
    »Du weißt, dass ich muss. Wenn ich entdeckt werde, ist selbst die geringe Chance dahin, auf ehrliche Art und Weise um dich zu freien.«
    Julia zog sich gemeinsam mit mir hoch. Über ihren Augen hatte sich eine tiefe Falte gebildet, und sie sah mich bestimmend an. »Dann komme ich mit dir, Fiomha. Ich habe mir deine Geschichte angehört, und es war mir, als fände ich mich in diesen Frauen wieder, von denen du erzähltest. Jedes Wort ist wahr, das fühle ich! Ich bin sie, und sie sind ich.« Sie legte ihre Hände in die meinen und umklammerte meine Finger, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »Wir sind füreinander bestimmt. Ich werde nicht erlauben, dass uns

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