Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
der Flughafen auf uraltem Kulturboden errichtet wurde?«, fragte er. »Auf dem Erdinger Moos, früher Isaarmoos genannt. Bereits im zehnten Jahrhundert als Weidefläche urbar gemacht, vor zweihundert Jahren für die Torfstecherei genutzt. Heute ist leider nicht mehr allzu viel von dem erkennbar, was einstmals das Land ausmachte.«
»Warst du ... früher schon einmal hier?«, fragte Nadja interessiert.
»Kann sein. Ich habe ein recht langes Leben hinter mir. Leider erinnere ich mich nicht mehr an alles. Ein Elf ist nicht dafür geschaffen, jedes Erlebnis in seinen Gedanken zu behalten. Ich musste ... selektieren, um die wichtigsten Dinge zu bewahren.« Fabio atmete tief durch. »Viele Menschen wissen nicht einmal mehr, wie es ist, den Boden unter den Füßen zu spüren, im wahrsten Sinne des Wortes. Mit den Zehen das Gras zu fühlen, sich in die Erde zu wühlen. Zu erkennen, dass wir nicht allein sind, dass es im Erdreich von Leben nur so wimmelt und dass wir alle Bestandteil eines viel, viel größeren Etwas sind.«
Fabio seufzte. »Sieh dich nur um, Nadja; sind sie nicht alle blind, diese Menschen? Sie wollen das unterirdische Reich der Würmer, Käfer und Spinnen nicht sehen, dieses ungemein kraftvolle, überbordende Biotop. Sie vergessen, dass es existiert. Genauso, wie sie vor langer Zeit verdrängt haben, dass es Elfen gibt.«
»War es denn tatsächlich Verdrängung?«, hakte Nadja nach. Sie wies auf einen der Bildschirme. Ihr Flug mit der Lufthansa nach Palermo startete in etwas mehr als einer Stunde von Gate 38 in Terminal Zwei. Der Fußweg dorthin war lang.
»Zum Großteil«, antwortete Fabio. Er lächelte traurig und wechselte abrupt das Thema. »Und jetzt sollten wir uns beeilen, mia bella.«
Nadja ließ sich mitziehen. Sie genoss die ruhige, bestimmende Stärke ihres Vaters, die sich durch seine Berührung übertrug.
»Hast du Blitz und Donnerschlag bemerkt?«, fragte sie ihn.
»Waren weder zu überhören noch zu übersehen«, sagte Fabio kurz angebunden. »Warum?«
»Ich dachte ... nun ... ach, gar nichts!«
»Lass dich nicht verrückt machen, Fiorellina. Nicht alles, für das man keine Erklärung findet, hat mit der Elfen- oder Schattenwelt zu tun. Kümmern wir uns lieber um die Flugtickets.«
»Haben wir etwa noch keine?«
Fabio blickte sie erstaunt an. »Natürlich nicht!«, sagte er. »Erwartest du etwa, dass ich mich um solch profane Dinge kümmere? Dass ich Tickets
kaufe?
Dass ich mich in einer Reihe mit schwitzenden und laut krakeelenden Touristen anstelle und mich unfreundlich abfertigen lasse?« Er seufzte abermals. »Früher war das etwas anderes. Da wurden Reisende noch wie Könige behandelt ...«
»Du wirst doch nicht etwa sentimental werden? Und was meinst du mit
früher?«
»Vor zwei- oder dreihundert Jahren.«
»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte Nadja. Ein mulmiges Gefühl befiel sie. Sie wusste so wenig über ihren Vater ... Er war ein Elf, der aus Liebe zu seiner Frau eine Seele entwickelt hatte und im Menschenreich geblieben war, verbannt von Fanmór, dem König der Sidhe Crain.
»Alt, aber nicht
zu
alt«, antwortete Fabio nichtssagend. »Wir können über diese Dinge gerne plaudern, sobald wir im Flugzeug sitzen.«
Nadja blieb abrupt stehen. »Ho, mein Guter!«, sagte sie. »Dein Charme greift bei mir nicht. Ich habe keine Lust, mich auf ein weiteres Abenteuer einzulassen, wenn ich nicht wenigstens ein paar Informationen von dir bekomme. Mit deinen mageren Andeutungen über unsere Reise nach Sizilien hast du mich in Teufels Küche gebracht. Benötige ich formelle Kleidung, ist Sandalen-Look angesagt, ist der kleine rote Mini nötig oder doch das knielange Blumenröckchen ...«
»Ich wusste gar nicht, dass du so viel Wert auf Kleidung und Etikette legst.«
»Leg ich auch nicht, werter Herr Papa. Aber in manchen Situationen kann es von Vorteil sein, den Körper ins rechte Licht zu rücken. Du erinnerst dich an Venedig? An den Conte del Leon?«
»Wie könnte ich Cagliostros Sohn jemals vergessen?«
»Mit meinem Kleid und meinem Auftreten habe ich ihn damals auf mich aufmerksam gemacht. Es war ein hartes Stück Arbeit, David zu befreien.«
»Erinnere mich nicht daran.« Fabio schüttelte sich. »Du hast dich unvernünftig wie ein kleines Kind verhalten und dein Leben riskiert.«
»Ich habe mit meinen Waffen gekämpft. Mit einem Lächeln, einem Hüftschwung, ein wenig nackter Haut und ein paar freundlichen Worten.«
»Und einem kühlen Verstand, den du zweifellos
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