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Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Titel: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Norden her ist es am günstigsten, an die Casa heranzukommen. Luigi der Warzige schläft meist zwischen zwei und vier Uhr morgens und träumt von Castilla, der Hure, die er zu lieben glaubt.« Seine Finger wanderten am Gebäudeumriss entlang. »Hier sind Haken in die Außenwand eingeschlagen, die einstmals dazu dienten, Nahrung und andere Dinge mithilfe von Körben in die oberen Stockwerke zu schaffen. Sie werden dir helfen, nach oben zu steigen. Wenn du diesen Erker umrundest und den schmalen Steg, der am Arbeitszimmer des Capullo vorbeiführt, entlangbalancierst, gelangst du zu Julias Balkon.«
    Ich konnte nur staunen. Morocutti hatte einen durchaus gangbaren Weg ausgetüftelt. In dem Jungen steckte viel mehr, als ich geahnt hatte.
    »Du überraschst mich jedes Mal aufs Neue«, sagte ich.
    »Du solltest es morgen versuchen«, sagte Morocutti, unbeeindruckt von meinem Lob. »Die Nacht wird dunkel sein, und der angekündigte Seewind wird dafür sorgen, dass sich die Wächter noch enger an die Hausmauern ducken.«
    Sachte stieß das Boot gegen die steinernen Hausbegrenzungen. Ich reichte Morocutti ein letztes Mal die Hand, sprang aus dem Boot und stieß das Schifflein ab. Erst wenn der Morgen dämmerte, würde er mich abholen.
    Ein Husten erklang. Es hörte sich nach Como an, vor dem mich mein Begleiter gewarnt hatte. Er war der Einzige, der seine Aufgabe als Wächter halbwegs ernst nahm und von Zeit zu Zeit Kontrollgänge unternahm. Ich schob mich enger in den Schatten des Hauses und wandte mich nach links. Wasser spülte über meine Schuhe. Der Weg war glitschig und tangbewachsen. Seile, die am Gemäuer entlang gespannt waren, würden mir helfen, mein Gleichgewicht zu wahren. Doch ich musste darauf achten, die Spannung an den Tauen nicht allzu sehr zu erhöhen. Sonst spürten es die Wächter in ihren Händen und wären alarmiert.
    Wo waren diese Haken, von denen Morocutti gesprochen hatte? Ich tastete um mich, von fast vollkommener Nachtschwärze umgeben. Der Wind frischte auf. Er hieß mich, noch vorsichtiger zu agieren.
    Immer stärker spannte sich das Seil. Como musste sich in unmittelbarer Nähe befinden. In den nächsten Sekunden würde er um die Ecke biegen und auf mich zukommen. Ich musste mich ins Wasser gleiten lassen, musste ein anderes Mal wiederkommen ...
    Da! Zwei Handbreit über mir spürte ich das kühle Metall eines eisernen Rings. Hastig schob ich eine Schuhspitze in die Ritze zwischen erstem und zweitem Steinblock des Fundaments, hielt mich mit aller Kraft am Ring fest und zog mich hoch. Dann noch einmal und noch einmal, bis ich die nächsthöhere Befestigung ertasten und mich auf das unterste Eisen stellen konnte. Ich hielt den Atem an und blieb ruhig stehen. Denn genau unter mir balancierte Como am schmalen Uferstreifen entlang. Er blieb stehen und blickte hinaus aufs Meer. Hatte er etwa Morocutti ausgemacht, dessen Boot ich unweit von hier wusste?
    Ich fühlte, dass der Ring unter meinen Beinen nachgab und sich unter meinem Gewicht verbog; Kiesel kullerten nur wenige Zentimeter hinter Como zu Boden. Wenn er sie bemerkte, war mein Leben mit Sicherheit verwirkt! Mit aller Kraft klammerte ich mich an das obere Eisen. Hoffentlich hielt es, hoffentlich hatte der grobschlächtige Wächter nichts gehört!
    Nein; er horchte auf den Gesang einer einsamen Nachtigall, die unweit von hier ihren nächtlichen Lockruf übers Wasser trällerte. Dann zog Como weiter, eine Hand immer am Seil. Er wirkte gedankenverloren und ahnte keinen Moment lang, dass ich nur wenige Zentimeter oberhalb seines Kopfes an der Fassade der Casa klebte.
    Als er endlich um die Ecke bog und das Festland an der Ostseite betrat, stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus. Ich zog mich weiter hoch, hinauf zum zweiten Stock, und verschnaufte für eine Weile nahe dem schmalen Fenster, das für die Warenaufnahme bestimmt war. Dann setzte ich meinen Weg entlang des Simses fort, hin zur Westseite, wo ich Julias Balkon wusste.
    Ich klopfte gegen ihr Fenster, leise und vorsichtig. Einmal, zweimal. Bis ich den Schein einer Kerze ausmachte, der hinter dickem Vorhangstoff flackerte. Eine zierliche Gestalt schob sich aus dem Bett. Julia blickte um sich und kam dann mit nackten Füßen auf den Balkon zu.
    Soeben riss der Himmel auf. Der Halbmond schenkte ein wenig Licht. Ich duckte mich in den hintersten Winkel des steinernen Balkons. Ein einziger Blick eines verschlafenen Wächters nach oben mochte reichen, um meine Anwesenheit auffliegen zu

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