Elfenzorn
machen. Es ihm zu erklären, hätte die Sache nur unnötig verkompliziert; ganz davon abgesehen, dass sie es trotz all der Zeit auch selbst noch nicht ganz begriffen hatte.
Außerdem wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus, das er bisher noch nicht angesprochen hatte, jedenfalls nicht direkt. Sie hatte das sehr sichere Gefühl, dass es ihr nicht gefallen würde.
»Am Schluss haben dann auch alle seine Wundermaschinen versagt«, fuhr Jesus fort, als sie wieder allein waren. »Genau wie all die Medikamente, die sie mir gegeben haben. Es war ... verrückt, weißt du? Ich konnte genau spüren, wie alles zusammenbrach. Als hätte irgendwer ganz tief in mir drinnen einen Stecker gezogen.«
»Aber du bist nicht in das Licht gegangen«, witzelte Pia.
»Da war kein Licht«, antwortete Jesus ernst. Seine Finger begannen mit dem goldenen Trinkbecher zu spielen. Pia hatte fast Mühe, ihren mit beiden Händen zu halten, aber in Jesus gewaltigen Pranken sah er aus wie ein Spielzeug. »Irgendetwas war dort und es hat mir Angst gemacht. Aber dann bist du gekommen.«
Und jetzt würde er sie fragen, was sie getan hatte, um ihn vor dem zu beschützen, was dort in der Dunkelheit auf ihn gelauert hatte, dachte Pia. Woher zum Teufel sollte sie das wissen?
»Du hast mich gerettet«, fuhr er dann auch erwartungsgemäßfort. »Dabei sollte das doch eigentlich mein Job sein ... aber bist du auch sicher, dass du wirklich mich retten wolltest?«
Das war ganz und gar nicht erwartungsgemäß. Pia sah ihn mit schräg gehaltenem Kopf an. Sie schwieg.
»Dieser Name, mit dem du mich angesprochen hast.«
Ter Lion. Sie hatte es schon bedauert, als ihr diese beiden Worte herausgerutscht waren, und sie hatte so gehofft, dass er es vergessen hatte, bei all dem, was danach geschehen war. Der Jesus, den sie bisher gekannt hatte, hätte es auch vergessen. Sie stellte den Becher beiseite. Das Wasser schien plötzlich bitter zu schmecken.
»Alica hat es dir gesagt.«
Jetzt war es Jesus, der sie schweigend ansah und darauf wartete, dass sie weitersprach.
»Es ist alles –«, begann sie unbeholfen, und Jesus unterbrach sie:
»– ganz anders, als es aussieht?«
»Ich weiß, wie sich das anhört. Aber ja, so ungefähr könnte man es ausdrücken.«
»Glaub ich nicht«, sagte Jesus. Er hatte aufgehört, den goldenen Becher in den Fingern zu drehen, und begann ihn nun langsam zusammenzudrücken, ohne es auch nur zu merken. »Dass du weißt, wie sich das anhört, meine ich.«
Pia antwortete nicht gleich, aber sie konnte nicht anders, als Jesus immer verblüffter anzusehen. War das wirklich Jesus oder eines der unheimlichen Wesen, von denen diese Welt ja nur so wimmelte, vielleicht ein Gestaltwandler, der bloß in sein Aussehen geschlüpft war, um sie zu narren?
Sie schüttelte den albernen Gedanken ab und musste sogar flüchtig darüber lächeln, und natürlich deutete Jesus auch das falsch.
»Was ist so lustig?«, fragte er finster. Seine Hand schloss sich noch fester um den goldenen Becher und hatte ihn mittlerweile so gründlich zerquetscht, wie andere es mit einer leeren Coladose getan hätten.
»Also gut«, seufzte Pia. »Was hat Alica dir erzählt? Über Ter Lion und alles andere?«
»Vielleicht mehr, als ich hören wollte«, antwortete Jesus. »Auf jeden Fall genug. Du hast keine Zeit verloren.«
»Immerhin waren wir ein paar Monate hier«, erinnerte Pia ihn, »auch wenn es für dich vielleicht nur ein paar Stunden gewesen sind.«
»Ein paar Monate«, sagte Jesus. »Ja, das ändert natürlich alles.«
Pia setzte dazu an, mit einer neuerlichen flapsigen Bemerkung darauf zu antworten, aber ganz plötzlich wurde sie zornig. »Nein, Jesus«, sagte sie scharf. »Das ändert gar nichts, weißt du? Es geht dich nichts an, was ich wann und mit wem tue, ob nun nach ein paar Stunden, drei Monaten oder einem Jahr. Was ist in dich gefahren? Ich bin nicht dein Eigentum, Jesus. Das war ich nie!«
Jesus quetschte den Becher endgültig zur Dicke einer Münze zusammen und warf ihn dann achtlos hinter sich. Er sagte nichts, aber er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass sie seine Zähne knirschen hörte.
Pia tat etwas sehr Dummes, wenn auch in bester Absicht, um den Moment wenigstens ein bisschen zu entspannen: Sie hielt ihm ihren eigenen Becher hin und sagte: »Hier. Den kannst du auch noch kaputt machen, wenn dich das beruhigt.«
Jesus’ Blick wurde noch kälter. Eine Sekunde lang starrte er sie einfach nur an, dann beugte er sich vor, nahm ihr
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