Elfenzorn
war. Du solltest dich mit Jesus aussprechen, das ist wahr ... aber nicht jetzt. Unsere Gäste warten. Und reiß dich ein bisschen zusammen, okay?«
Pia verstand nicht genau, was sie damit meinte, aber Alica wäre nicht Alica gewesen, hätte sie diese Worte erklärt. Sie ging wieder ins Nebenzimmer, warf einen raschen Blick in die Runde, wie um sich davon zu überzeugen, dass auch wirklich alles in Ordnung war, und zupfte dann noch einmal an Pias Kleid herum, obwohl es so perfekt saß wie gerade.
»Bereit für den großen Auftritt?«
»Nein«, antwortete Pia. Welchen Auftritt ?
»Gut«, feixte Alica. Sie warf ihren Zigarillo auf den Boden, trat ihn mit dem Absatz aus und ging dann mit schnellen Schritten zur anderen Seite des großen Raumes, um ihren Besucher hereinzubitten.
Anders als noch am Morgen war er nicht mehr in Fetzen gehüllt, sondern trug Stiefel, Wams und Hose aus glänzendem schwarzem Leder und, wohl um sich endgültig lächerlich zu machen, einen dazu passenden Mantel mit steifem Kragen, dessen Saum mit einem hörbaren Rascheln hinter ihm herschleifte. Außerdem hatte er sich einen neuen Grubenhammer besorgt, der an seinem Gürtel hing. Er sah so schwer aus, dass Pia eigentlicherwartet hätte, ihn mit deutlicher Schlagseite gehen zu sehen, aber der Zwerg schien das Gewicht nicht einmal zu spüren.
»Hallo Prinzesschen«, feixte Gamma Graukeil. »Welche Wohltat für meine alten Augen, Euch wiederzusehen.«
»Hallo Knirps«, antwortete Pia. »Was macht deine Nase?«
»Sie tut nicht mehr weh«, erwiderte er.
»Und das wird auch so bleiben, solange du sie nicht wieder in Dinge steckst, die dich nichts angehen«, sagte Pia freundlich.
Alica seufzte leise, warf ihr einen fast schon flehenden Blick zu und deutete dann auf den Tisch. »Nehmt doch Platz, Gamma Graukeil.«
Der Zwerg sah ganz so aus, als holte er Luft zu einer patzigen Antwort, besann sich dann aber eines Besseren, als Pia ihm spöttisch mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze tippte, und trollte sich grummelnd. Alica sah nicht im Geringsten amüsiert aus.
Zu Pias Erleichterung traten in diesem Moment jedoch die drei anderen Gäste ein, auf die sie noch warteten: Der erste war ein selbst für hiesige Verhältnisse klein geratener Mann mit den edlen Zügen eines Aztekenherrschers, der ein schreiend buntes Gewand und einen gewaltigen Federschmuck trug, der selbst Jesus zu groß gewesen wäre. In seiner Begleitung, beinahe, aber eben nicht ganz, sondern vielleicht einen viertel Schritt hinter ihm, aber in derselben, stolzen Haltung und auf dieselbe prachtvolle Weise bis hin zu einem kaum weniger prachtvollen Federschmuck auf ihrem ansonsten vollkommen kahlen Schädel gekleidet, folgte eine uralte Aztekenfrau … oder auch Maya. So genau hatte sie den Unterschied nie kapiert. Dann sah sie genauer hin und revidierte ihr vielleicht doch etwas vorschnell gefasstes Urteil: Ihr Gesicht war sonnengebräunt, aber eindeutig nicht nur das einer Indiofrau. Pia konnte nicht allzu viel davon erkennen, denn der größte Teil verbarg sich hinter einer aufwändig gestalteten Maske aus bunten Federn und gehämmertem Kupfer, doch das wenige, das sie sah, wirkte nicht wirklich wie das einer Mayafrau. Nicht nur. Aber es sah auch nicht wirklich exotisch aus,sondern auf eine sonderbare – fast schon beunruhigende – Art vertraut und –
In diesem Augenblick trat der vierte und letzte Besucher ein, und sein Anblick ließ Pia fast das Blut in den Adern gefrieren.
Er war groß und grau und sah eher wie ein wandelnder Leichnam als ein lebendes Wesen aus (später sollte Pia erfahren, dass diese Beschreibung der Wahrheit ziemlich nahe kam) und er hatte etwas auf grausige Art Unwirkliches an sich. Tod stand in seinen Augen geschrieben.
»Kukulkan, Isabel, Sith.« Alica verblüffte sie nicht nur dadurch, dass ihr diese komplizierten Namen so glatt über die Lippen kamen, als hätte sie sie stundenlang geübt, sondern auch und vielleicht noch viel mehr mit der tiefen Verbeugung, die sie den drei Neuankömmlingen gegenüber machte. Sie wirkte nicht im Geringsten gekünstelt. Pia glaubte ganz im Gegenteil so etwas wie echte Ehrerbietung nicht nur darin zu spüren, sondern auch in Alicas Miene. »Ich danke euch, dass ihr so rasch kommen konntet. Die Erhabene fühlt sich geehrt.«
Weder Kukulkan und seine Begleiterin noch der grau gesichtige Tod schenkten ihren Worten irgendeine Beachtung. Alle drei starrten Pia an, das aber auf vollkommen unterschiedliche
Weitere Kostenlose Bücher