Elfenzorn
nicht mehr amüsiert oder aufgesetzt spöttisch – an und trollte sich dann ebenfalls. Erst in diesem Moment war es ihr, als löste sich ein unsichtbarer Druck von ihrer Brust, und sie konnte wieder atmen.
Und denken. Wenigstens versuchte sie es.
»Du kannst mir nicht zufällig erklären, was dieser Auftritt zu bedeuten hatte?«, wandte sie sich an Alica.
»Dass wir ein Problem haben«, antwortete Alica düster.
»Und welches?«, fragte sie wider besseres Wissen.
Alica grub einen schwarzen Zigarillo und ihr Feuerzeug unter ihrer Kleidung aus und nahm einen tiefen Zug, bevor sie antwortete:
»Dich, Liebes.«
XIV
A lica hatte sich nicht nur beharrlich geweigert, ihre geheimnisvollen Worte in irgendeiner Weise zu erklären, sondern war auch kurz darauf verschwunden und hatte sie fast eine halbe Stunde allein gelassen; mehr als genug Zeit für ihre Fantasie, die wildesten Kapriolen zu schlagen und ihr ihre Zukunft in immer düstereren Farben auszumalen. Als sie schließlich zurückkam, war sie nicht mehr allein, sondern in Begleitung ihrer beiden Dienerinnen, die schwer mit Schalen, Schüsseln, Körben und allem möglichen anderen Zeug beladen waren; ungefähr zehnmal so viel, wie Pia angenommen hatte, dass ein einzelner Mensch überhaupt tragen konnte.
In den zurückliegenden endlosen Minuten, die sie allein gewesen war, hatte sie sich immer öfter gefragt, wo Jesus eigentlich blieb, und halb gehofft, Alica würde ihn mitbringen. Sowohl sie als auch die beiden Mädchen ignorierten ihre entsprechenden Fragen jedoch genauso beharrlich wie ihren schwächlichen Widerstand, während sie sie mehr oder weniger sanft wieder ins Schlafzimmer zurückbugsierten und auf das Bett hinabstießen, wo sie unverzüglich begannen, mit dem Inhalt ihrer mitgebrachten Körbe und Schalen, Fläschchen und Beutel über sie herzufallen. Sie wurde geschminkt und gepudert, ihr Haar wurde gebürstet, bis es trocken und so glatt wie Seide über ihre Schultern fiel, ihre Nägel wurden gefeilt und sorgsam manikürt. Während sie immer resignierter (und ohne eine Antwort zu bekommen) fragte, was der ganze Unsinn eigentlich solle, und ihren Widerstand schließlich ganz aufgab, machten Alicas und das Benehmen der Mädchen doch klar, dass sie sie allerhöchstens davon hätte abhalten können, indem sie tatsächlich handgreiflich geworden wäre, und vielleicht nicht einmal dann. Schließlich kamen noch mehr Dienerinnen herein – allesamt waren sie außergewöhnlich klein, jung und sehr hübsch – und brachten ganze Berge von Kleidern,Schuhwerk der unterschiedlichsten Art und Schmuckstücke. Immerhin wurde ihr rasch klar, dass sich Alica aus irgendeinem Grund vorgenommen hatte, sie herauszuputzen; aber nicht, aus welchem. Ihre diesbezüglichen Fragen ignorierte sie.
Als sie fertig waren und endlich von ihr abließen (nach Stunden, wie es ihr vorkam), scheuchte Alica sämtliche Mädchen hinaus, trat ein paar Schritte zurück und musterte sie lange und ausgiebig, wobei sie den Kopf abwechselnd von der rechten auf die linke Seite und wieder zurück legte. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, war sie mit dem Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen nicht hundertprozentig zufrieden, kam dann auch prompt wieder näher und streckte die Hand aus, um ihr eine Strähne ihres weißblonden Haares aus der Stirn zu streichen, die vielleicht einen halben Millimeter zu weit links lag. Pia ließ auch das klaglos über sich ergehen, doch als Alica den Arm zurückziehen wollte, griff sie rasch zu und hielt sie am Handgelenk fest.
»Das reicht jetzt«, sagte sie. »Was soll dieser ganze Unsinn?«
Alica machte sich mit einiger Mühe los (es gelang ihr nur, weil Pia es zuließ) und antwortete vorsichtshalber erst, nachdem sie einen gehörigen Sicherheitsabstand zwischen sie gebracht hatte. »Du wolltest doch nicht etwa so unter die Leute gehen, oder?«
Pia hatte keinen Spiegel zur Hand, aber wenn sie an all die Püderchen, Tinkturen, Schminken und Farben dachte, mit denen Alica und die beiden Mädchen über sie hergefallen waren, war sie ganz und gar nicht sicher, ob sie so unter die Leute gehen wollte. Oder überhaupt.
»Ich hatte nicht vor –«, begann sie, und Alica unterbrach sie mit einem heftigen Kopfschütteln.
»Du hast doch gesehen, was draußen los ist, oder? Wir haben den Leuten erzählt, dass du erschöpft bist und ein wenig Ruhe brauchst, aber allmählich wollen sie dich sehen.« Sie lachte, nervös und unecht. »Das ist eben der Preis des
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