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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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konnte.
    Alica nahm das Kompliment wortlos entgegen, verschränkte die Arme vor der allenfalls symbolisch verhüllten Brust und lehnte sich gegen die bemalte Wand in ihrem Rücken.
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«, fragte Pia.
    »Tu ich doch gerade«, erwiderte Alica, schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Außerdem gibt es im Moment nichts, was du tun könntest, und du hattest ein bisschen Schlaf bitter nötig.«
    Sie etwa nicht?, dachte Pia. Außerdem war da noch etwas, etwas Wichtiges, das sie vergessen hatte, aber ihre Gedanken bewegten sich immer noch träge, und sie hatte das Gefühl, dass sie auf der Stelle wieder einschlafen würde, wenn sie nicht achtgab. Dann durchfuhr sie ein neuer heißer Schrecken.
    »Jesus!« Pia setzte sich mit einem Ruck auf. »Was ist mit ihm los?«
    »Es geht ihm gut, keine Angst.« Alica faltete umständlich die Arme auseinander, um eine beruhigende Geste zu machen, und begriff dann anscheinend selbst, dass sie zu spät kam, denn sie führte die Bewegung nicht zu Ende. Aber sie schüttelte noch einmal den Kopf und versuchte zumindest, so etwas wie einen optimistischen Ausdruck auf ihr Gesicht zu zwingen. Es misslang. »Er ist noch im Tempel. Kukulkan hat die ganze Nacht seine Beschwörungen und Rituale abgehalten, und das ist ein gutes Zeichen.«
    »Wieso?«, wollte Pia wissen.
    »Weil er es nicht tun würde, wenn es keinen Sinn hätte«, antwortete Alica. »Der alte Bursche ist ein Pragmatiker, weißt du? Er tut nichts, was keinen Sinn hat oder woraus er keinen Nutzen ziehen könnte.« Sie wartete kurz auf eine Antwort, die sie nicht bekam, schüttelte dann abermals den Kopf und verzog die Lippen. »Wahrscheinlich hat Jesus Glück, dass er bewusstlos ist.Ich glaube, er würde völlig durchdrehen, wenn er stundenlang diesem grässlichen Gesang zuhören müsste. Wenn es etwas gibt, was schlimmer ist als das Essen hier, dann ist es die Musik dieser Leute.«
    »Aber es geht ihm gut?«, vergewisserte sich Pia.
    Sie bekam nicht die Antwort, die sie hatte hören wollen. »Besser«, erwiderte Alica, und jetzt wich sie ihrem Blick aus. »Er hat großes Glück, noch am Leben zu sein, und Kukulkan hat vorhin einen seiner Diener geschickt, um mir ausrichten zu lassen, dass es wohl auch so bleibt. Mehr weiß ich nicht.« Sie schien noch mehr sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem tiefen Seufzen und stieß sich mit einem Ruck von der Wand ab. »Auf jetzt, Schlafmütze«, fuhr sie in aufgesetzt forschem Ton und mit einem zusätzlichen Händeklatschen fort. »Du hast lange genug geschlafen. Wir haben eine Menge Arbeit.«
    Pia ignorierte das Stichwort ganz bewusst, streifte die dünne Decke ab und stellte ohne große Überraschung fest, dass sie nicht mehr das zerrissene Kleid von gestern trug, sondern die Art von Nachtgewand, die offensichtlich Alicas Geschmack entsprach: Ein dünnes Goldkettchen um das rechte Fußgelenk und ein etwas dickeres am linken Arm. »Hast du mich – ?«, begann sie, und Alica unterbrach sie mit einem heftigen Kopfschütteln.
    »Aber ich bitte Euch, Erhabene! So etwas würde ich mir nie erlauben. Diese Ehre habe ich selbstverständlich Kukulkan überlassen.«
    Pia starrte sie an, und Alica hielt ihrem Blick zwei oder drei Sekunden lang vollkommen ernst stand, aber dann platzte sie vor Lachen heraus. »Nein, keine Angst. Das waren die Mädchen und ich. Die Leute hier haben eine gesunde Einstellung zu ihren Körpern und allem, was man damit machen kann, aber du bist schließlich nicht irgendwer.«
    »Ich weiß«, seufzte Pia. Sie stand auf, folgte Alicas hilfreich deutender Geste und gewahrte einen kleinen Stapel mit einfacher, aber bequem aussehender Wäsche und einzusammengelegtes buntes Kleid am Fußende ihres Bettes. »Und vielleicht ist genau das das Problem«, fuhr sie fort, während sie ging und sich anzog.
    »Was?«, erkundigte sich Alica. »Dass du nicht nackt herumlaufen darfst, obwohl es warm genug dazu ist?«
    Pia ignorierte die Bemerkung und nahm sich vor, das auch mit allen anderen zu tun, die Alica ganz bestimmt noch machen würde. Ihre Scherze waren noch lahmer als sonst. Sie musste vollkommen übermüdet sein, und obwohl sie sie nur aus den Augenwinkeln betrachtete, entging ihr keineswegs, dass es ihr einfach nicht möglich war, stillzustehen; ein weiterer, überdeutlicher Hinweis auf den Grat ihrer Erschöpfung.
    »Dass ich kein ganz normaler Mensch bin«, seufzte sie. Das wiederum ignorierte Alica.
    Bedächtig und sehr viel

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