Elfenzorn
Gamma, alter Zausel!«, rief sie. »Wie wärs mit ein bisschen Licht? Das hier erfordert eine gebührende Beleuchtung, von den schmetternden Fanfaren und den Cheerleaderinnen gar nicht zu reden!«
Tatsächlich tauchte Gamma Graukeil gerade dann hinter Pia auf der Treppe auf, wagte sich aber aus irgendeinem Grund nicht über die erste Stufe hinaus. Er hielt eine blakende Fackel in der Hand, deren flackerndes Licht sich genau wie das der schwimmenden Reisigbündel in der Dunkelheit verlor, aber zumindest Alicas Gestalt deutlicher enthüllte. Sie stand nur ein paar Schritte entfernt auf dem Sims, hatte die Arme ausgebreitet, alswollte sie den ganzen unterirdischen See umarmen, und wirkte sehr zufrieden. Das Licht zeigte ihr auch, dass irgendetwas auf dem Wasser schwamm; aber nicht genau, was es war.
»Also, geehrte Alica, Ihr solltet vielleicht wirklich nicht –«, begann der Zwerg, kam aber erneut nicht weiter, auch wenn es jetzt nicht Alica war, die ihn unterbrach. Vielmehr erscholl das Wasserfallgeräusch ein weiteres Mal, und nur eine halbe Sekunde später ergoss sich ein gewaltiger glitzernder Sturzbach mit solcher Wucht genau auf Alica, dass sie einen Moment lang mit wild rudernden Armen um ihr Gleichgewicht kämpfen musste. Irgendwie gelang es ihr nicht nur, nicht ins Wasser zu fallen, sondern sogar auf den Beinen zu bleiben, wenn auch wahrscheinlich nur, weil der tosende Strom fast genauso schnell wieder versiegte, wie er gekommen war. Zurück blieb eine klitschnasse und nach Luft schnappende Alica.
»Es ist ja nicht so, als hätte ich sie nicht gewarnt«, brummte Gamma Graukeil, »oder es wenigstens versucht.«
Vorsichtshalber sagte er das so leise, dass Alica die Worte nicht hören konnte, auch wenn Pia ohnehin bezweifelte, dass sie zugehört hätte. Alica stand da wie der sprichwörtlich begossene Pudel, mit aufgerissenem Mund und Augen, bis auf die Haut durchnässt und ihr ehemals so sorgsam zu Locken gedrehtes Haar in nassen Strähnen an den Kopf geklatscht. Und vielleicht triefte sie nicht nur vor Nässe. Pia glaubte jetzt zu wissen, was sie da auf den Wellen hatte treiben sehen, und wenn sie es recht bedachte, dann hatte auch der gewaltige Guss, der auf Alica herabgestürzt war, nicht nur nach Wasser ausgesehen …
Alica stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen einem Japsen und purem Ekel lag, fuhr sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar und verzog dann angewidert das Gesicht, als sie an ihrer Hand roch. »Oh, Scheiße!«, murmelte sie.
»Sag ich doch«, sagte Gamma Graukeil, und ganz gewiss nicht zufällig deutlich lauter. »Oder ich wollte es wenigstens sagen.«
XVIII
A lica hatte bis zum Sonnenuntergang kein einziges Wort mehr gesprochen – weder mit ihr noch mit sonst jemanden – und sie waren sogar in Rekordzeit wieder durch das Labyrinth aus Gängen, Leitern und Katakomben ans Tageslicht zurückgeeilt, hatten die gewonnene Zeit aber auch gleich wieder verloren, weil Alica kommentarlos in den See gesprungen war und ein wirklich sehr ausgiebiges Bad genommen hatte.
Pia war es nur recht gewesen. Ihre Schadenfreude hatte nicht allzu lange angehalten, aber ihre Übelkeit war zurückgekommen und spätestens in dem Augenblick schlimmer denn je geworden, in dem sie die Silberkammer durchquert hatte. Hätte Gamma Graukeil sie nicht auf den letzten Schritten gestützt, dann hätte sie es möglicherweise gar nicht geschafft.
Draußen an der frischen Luft wurde es besser. Immerhin gelang es ihr, sich nicht ausgiebig in den See zu übergeben, in dem Alica gerade badete, aber ihr Gesichtsausdruck musste dem Alicas wohl ziemlich ähneln. Auch auf dem Weg zurück in die Stadt machte ihnen jeder hastig Platz, doch jetzt war es eindeutig Erschrecken, wenn nicht gar Furcht, die sie auf den meisten Gesichtern las. Sie war zwar nach wie vor verwirrt (und sehr neugierig), aber nicht über die Maßen enttäuscht, als Alica kurz vor Erreichen ihres Zieles plötzlich schneller ritt, um ihr Haus zu erreichen und sich umzuziehen und vermutlich auch noch ein oder zwei Stündchen zu baden.
Wieder in ihrem eigenen Zuhause angekommen, überlegte sie einen Moment, dasselbe zu tun. Obwohl sie der bizarren unterirdischen Kloake nicht einmal annähernd so nahe gekommen war wie Alica, hatte sie dennoch das Gefühl, zu stinken (und tat es vermutlich auch). Sie kam sich am ganzen Körper klebrig und irgendwie … besudelt vor. Aber leider befand sie sich nicht mehr in der Welt sensorgesteuerter Warmwassergeräte,
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