Elfenzorn
Spitzhacken auf die Schultern geschwungen hatten oder trübe Grubenlampen und Fackeln schwenkten, bewegten sich im Schutze dieser Schatten oder standen auch nur beieinander und redeten, und anders als in den Gängen, die sie hier heruntergeführt hatten, waren Boden und Wände unregelmäßig und kaum bearbeitet. Selbst Alica, die nicht nennenswert größer war als der Zwerg, musste sich unter den schweren Balken hindurchbücken, mit denen die Decke abgestützt war, und die Luft roch auch hier abgestanden und alt, zugleich aber auf eine unangenehme Art feucht, fast schon modrig.
»Dort vorne ist es!« Alica deutete ungeduldig mit der Fackel in das Durcheinander aus Licht und tanzenden Schatten vor sich, und einer der Zwerge konnte sich gerade noch mit einem erschrockenen Hüpfer in Sicherheit bringen, bevor sie ihm den Bart wegbrannte. »Du wirst staunen!«
Pia staunte vor allem, als sie die Wände des schmalen Ganges genauer in Augenschein nahm und feststellte, dass die Zwerge ihn offensichtlich direkt aus dem granitharten Felsen herausgemeißelt hatten – und das mit nichts anderem als Spitzhacke, Hammer und Meißel und der schieren Kraft ihrer Hände. Ihr Respekt vor den kleinen Männern stieg.
»Und worüber genau werde ich staunen?«, erkundigte sie sich.
»Verehrte Alischa, da wäre noch etwas, was –«, begann Gamma Graukeil, und Pia stolperte über ein Hindernis, das sich heimtückisch in dem Durcheinander aus Licht und tanzenden Schatten vor ihr verborgen hatte, und wäre um ein Haar der Länge nachhingeschlagen. Irgendwie fand sie Halt an einem der massigen Balken, die die Decke stützten, und fiel nicht, löste dafür aber eine regelrechte Staubexplosion aus, die ihr den Atem nahm, und ein Bombardement unzähliger kleiner (und ein paar nicht ganz so kleiner) Steinchen, die von der Decke auf sie herunterprasselten.
»Ist alles in Ordnung, Prinzessin?«, fragte Gamma Graukeil besorgt.
Pia gab sich redlich Mühe, den Zwerg mit Blicken aufzuspießen, schüttelte sich Staub und Steinsplitter aus dem Haar und suchte den Boden mit noch feindseligeren Blicken ab. Er war uneben, aber nicht so uneben, dass sie hätte stolpern können. Seltsam.
»Prinzessin?«, fragte Gamma Graukeil noch einmal. Jetzt klang seine Stimme eindeutig besorgt.
»Alles in Ordnung«, sagte Pia hastig. »Nichts passiert. Ich war nur ungeschickt.«
»Dann ist es ja gut«, antwortete der Zwerg. »Und bevor wir weitergehen, wäre da noch etwas, was ich der ehrwürdigen Alischa schon die ganze Zeit über sagen wollte.«
»Dann sollten wir uns besser beeilen, um sie einzuholen«, schlug Pia vor, ergötzte sich noch eine halbe Sekunde lang an Gamma Graukeils verdattertem Gesicht und ging dann umso schneller weiter. Diesmal achtete sie genau darauf, wohin sie trat.
Vor ihnen waren jetzt wieder Geräusche zu hören: das emsige Trappeln von Schritten, durcheinanderrufende und -schnatternde Stimmen, Hämmern und Hantieren und dann und wann ein schweres Poltern, als würden Steine zu Boden fallen. Einmal hörte sie ein gewaltiges Platschen, gefolgt von einem Chor eindeutig schadenfrohen Gelächters. Und endlich wurde es vor ihnen auch wieder hell, ein flackernder gelber und roter Schein, der von Grubenlampen und Fackeln stammte. Wie zum Ausgleich, um es ihnen ja nicht zu bequem zu machen, wurde der Gang noch einmal niedriger, sodass sie nur noch stark gebückt gehen konnte und sich trotzdem ein paarmal kräftig den Kopf anstieß.
Aber irgendwann war es vorbei, und sie trat dicht hinter Alicain einen weitläufigen und erfreulich hohen Raum, in dem es vor Zwergen nur so zu wimmeln schien. Wände und Decke wurden von einem Gewirr aus Balken abgestützt und wirkten auf den ersten Blick wie eine von der Laune der Natur geschaffene Höhle, auch wenn sie spürte, dass das nicht so war. Ein sachter, aber äußerst unangenehmer Geruch hing in der Luft, der ihr vage bekannt vorkam, obwohl sie ihn im ersten Moment nicht einordnen konnte.
Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch fast sofort von der gegenüberliegenden Wand in Anspruch genommen, wo nicht nur das Gewirr aus Balken und Stützpfeilern besonders dicht war, sondern sich auch mindestens zwanzig Zwerge drängelten, die Hacken und Hämmer schwangen oder auch Geröll in ledernen Eimern wegtrugen, um den Abraum entlang der Wände zu präzise gleich hohen Schutthalden aufzutürmen. Pedanten schienen die Knirpse aus Ostengaard zu allem Überfluss auch noch zu sein, dachte Pia. Aber irgendwie passte
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