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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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machte einen Schritt und stützte sich dabei wohl ganz absichtlich etwas mehr auf die beiden Männer, als nötig war, woraufhin sie tatsächlich ein wenig in die Knie gingen.
    »Mach es ihnen nicht noch schwerer, als es ist«, mahnte Pia.
    Jesus bemühte sich um ein möglichst schuldbewusstes Gesicht, ließ den beiden armen Burschen aber jetzt wenigstens wieder Luft zum Atmen. Sie kamen sogar besser voran, als sie erwartet hatte, auch wenn die beiden Indios natürlich den kürzesten Weg wählten, der sie sehr viel dichter an die Pyramide heranbrachte, als sie ihr freiwillig gekommen wäre, und vor allem an die beiden gewaltigen Schlangenköpfe. Das war nichts anderes als albern. Aber es machte sie trotzdem nervös. Sie sah so krampfhaft überallhin, nur nicht in die Richtung der beiden gewaltigen Skulpturen, dass Jesus schon hätte blind sein müssen, um es nicht zu merken.
    Und natürlich war er das nicht.
    »Unheimlich, nicht?«, fragte er.
    »Es geht so.« Pia lächelte schief. »Ich war einmal im Museum für Zeitgenössische Kunst in der Stadt. Ein paar von den Bildern dort hättest du sehen sollen. Die waren unheimlich.«
    Jesus verzog zwar die Lippen zu einem knappen Lächeln, aber seine Augen blieben ernst. »Mir machen sie Angst«, beharrte er.
    »Oder sie würden es tun, wenn es irgendetwas gäbe, was dir wirklich Angst machen könnte«, vermutete Pia.
    »Genau das habe ich gemeint«, sagte Jesus. Jetzt erschien doch so etwas wie ein Lächeln in seinen Augen, wenn auch nicht für lange.
    »Das alles hier ist mir irgendwie unheimlich«, fuhr er fort. »Diese Leute hier und ihre Gebräuche und Bilder …« Er schauderte übertrieben. »Hast du gewusst, dass sie Menschen opfern?«
    »Das haben die Maya bei uns auch getan«, erinnerte Pia ihn, aber Jesus schüttelte nur heftig den Kopf.
    »Vor fünfhundert Jahren«, sagte er. »Aber hier gehen die Uhren anscheinend ein wenig anders.«
    »Ich glaube nicht, dass sie hier so etwas wie Uhren haben«, antwortete Pia. Es hatte scherzhaft klingen sollen, aber ihre Stimme verweigerte ihr den Gehorsam, und irgendwie machte der missglückte Scherz es eher schlimmer. Vielleicht nicht zum ersten Mal, aber so ernsthaft wie bisher noch nicht, fragte sie sich, ob Alica und Eirann wirklich gut beraten gewesen waren, sich Kukulkan und sein Volk als Verbündete zu suchen. Jesus hatte recht: Alles hier war nicht nur irgendwie unheimlich, sie konnte sich kaum etwas denken, was weniger zu Eirann und seinem stolzen Elfenvolk passte.
    Sie entfernten sich ein gutes Stück von der Pyramide und den beiden steinernen Götzen, die die Treppe zu ihrem Zugang bewachten, und mit jedem Schritt, den sie taten, hatte sie das Gefühl, wieder ein bisschen freier atmen zu können. Und nach einer weiteren kurzen Weile wurde ihr auch klar, was für einen Unsinn sie dachte.
    Aus dem einzigen Grund, sich ihren eigenen Mut zu beweisen, sah sie nun doch zur Pyramidenspitze hoch. Sie hatte die Sonne im Rücken und hätte den wuchtigen Tempelbau dort oben eigentlich klar erkennen müssen, doch sonderbarerweise blieb er ein tiefenloser schwarzer Schatten. Selbst das rote Licht, das sie vor drei Nächten dort oben zu sehen geglaubt hatte, war noch immer da und erinnerte sie mehr denn je an ein bösartiges starrendes Auge, dem auch nicht die allerkleinste ihrer Bewegungen entging.
    »Und auch diese Frage kannst du dir sparen«, sagte Jesus.
    »Aber du wirst sie trotzdem beantworten?« Auch wenn sie nicht einmal wusste, welche er meinte.
    »Alica hat mich gewarnt, dass du mich löchern wirst, wie es da drinnen aussieht«, sagte Jesus. »Aber ich muss dich enttäuschen, fürchte ich, ich erinnere mich an so gut wie nichts.«.
    Pia ging langsamer, damit seine beiden lebendigen Gehhilfenund er zu ihr aufschließen konnten. »So gut wie nichts ist immer noch besser als nichts, oder?«
    Jesus schüttelte nur noch einmal den Kopf. »Sie haben mir irgendwas gegeben«, antwortete er. »Keine Ahnung, was, aber ich hab den Geschmack immer noch im Mund. Ich hab die meiste Zeit geschlafen.«
    »Kukulkans Allerheiligstes«, sagte Pia. »Angeblich weiß niemand außer ihm und seinen beiden Dienern, wie es dort aussieht.«
    »Niemand außer ihm«, verbesserte sie Jesus.
    »Er hat keine Diener?«
    »Doch«, antwortete Jesus. »Aber sie sind blind.«
    »Oh«, machte Pia, und Jesus fügte hinzu:
    »Sie haben sich die Augen ausgestochen, bevor sie es das erste Mal betreten haben. Freiwillig.«
    Diesmal dachte sie das Oh nur, das

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