Elfenzorn
sie erwischt haben oder nicht … und was sie mit ihr gemacht haben.«
»Nur keine Bange«, versprach Toni. »Wir finden die Jungs schon. Und dann werde ich sie höchstpersönlich fragen, was sie mit deiner Freundin gemacht haben.«
»Alica war nicht meine Freundin«, antwortete Pia und hätte sich am liebsten selbst auf die Zunge gebissen. Wieso sprach sie von Alica in der Vergangenheitsform? »Ich meine, ich … habe sie ja kaum gekannt.«
»Onkel José sagte, sie ist ein niedliches kleines Ding. Wäre schade, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.«
Pia blieb stehen. »Tust du mir einen Gefallen, Toni? Können wir mit diesem Mafia-Scheiß aufhören? Wenigstens wenn wir unter uns sind?«
»Mafia-Scheiß?«, wiederholte Toni verwirrt.
»Onkel José!« , sagte Pia mit übertrieben komischer Betonung. »Großer Gott! Hält er sich für den Paten?«
»Kein bisschen«, antwortete Toni, der immer noch eher verwirrt als verstimmt klang. »Onkel José ist wirklich unser Onkel.«
»Und Max ist dein Bruder?«, fragte sie verblüfft.
»Sieht man das etwa nicht?« Toni eilte grinsend zwei Schritte voraus und öffnete – ganz Gentleman – eine Tür am Ende des Korridors. Sie betraten eine vom letzen Licht des Tages in einen zarten Goldton getauchte Küche, die ein gutes Stück größer war als ihre gesamte Wohnung. Essensgeruch und der ungleich verlockendere Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee schlugen ihr entgegen. Ihr Magen knurrte noch einmal und noch lauter, undallein der Kaffeegeruch ließ ihr derart das Wasser im Mund zusammenlaufen, dass sie ein paarmal schlucken musste, um nicht zu sabbern.
Max saß an einem kleinen Tischchen am Fenster, auf dem das aufgetragen worden war, was sein Bruder gerade als kleines Frühstück bezeichnet hatte (in Pias Augen eine komplette Mahlzeit für mindestens drei Personen, wenn nicht mehr), und lächelte sie an. Eine junge Frau in einem schwarzen Zimmermädchen-Kleid, komplett mit Spitzenhäubchen und Schürze – Pia vermutete, dass es Consuela war – eilte ihr mit einem strahlenden Lächeln entgegen und begrüßte sie und dann Toni mit einem Augenzwinkern.
»Komm, setz dich!« Max stand auf, zog einen Stuhl zurück und wartete ab, bis sie Platz genommen hatte, bevor er sich selbst wieder setzte. Die beiden mussten jeder einen eineiigen Zwilling haben, oder Onkel José hatte seinen missratenen Neffen einen Crash-Kurs in gutem Benehmen verpasst. Auch Toni wartete, bis sie sich gesetzt hatte, bevor er sich auf den letzten freien Stuhl am Tisch plumpsen ließ.
Irgendwie brachte sie es fertig, ihren Magen daran zu hindern, noch einmal und wahrscheinlich noch lauter zu knurren, aber ihre Selbstbeherrschung reichte nicht so weit, nicht mit zitternden Händen nach dem Kaffee zu greifen und die erste Tasse so gierig herunterzustürzen, dass sie sich besabberte. Der Kaffee war brühheiß, und es tat weh, ihn zu schlucken. Trotzdem schenkte sie sich sofort eine zweite Tasse ein und leerte sie beinahe genauso schnell. Toni und sein Bruder tauschten verblüffte Blicke, die Pia aber nicht daran hinderten, ihre Tasse ein weiteres Mal nachzufüllen. Diesmal stürzte sie ihren Inhalt aber nicht sofort herunter, sondern nahm sie nur in beide Hände und blies vorsichtig hinein.
»Man könnte meinen, du wärst süchtig nach dem Zeug«, sagte Max schließlich. Seine Stimme klang immer noch nicht so, wie sie es wahrscheinlich sollte, und als Pia ihn ansah, kam ihr auchseine Nase ein bisschen zu groß für sein Gesicht vor. Außerdem war sie blau verfärbt.
»Ich hatte … ziemlich lange keinen Kaffee mehr«, sagte sie. »Ich weiß, ich trinke zu viel von dem Zeug. Aber schlechte Angewohnheiten wird man nur sehr schwer wieder los.« Sie nippte – vorsichtig – an ihrem Kaffee, stellte die Tasse dann ab und begann sich ihrem Frühstück zu widmen. Sie war wirklich hungrig und musste sich zusammenreißen, um nicht genauso unzivilisiert darüber herzufallen wie über den Kaffee. Es gelang ihr zwar, sich – halbwegs – zu beherrschen, aber sie aß trotzdem nicht nur schnell, sondern auch eine gewaltige Menge. Und sie aß auch noch weiter, als sie eigentlich schon längst satt war. Irgendwann konnte sie einfach nicht mehr. Mit einem durch und durch zufriedenen Seufzen ließ sie sich in ihren Stuhl zurücksinken, schloss für lange Sekunden die Augen und öffnete sie erst wieder, als sie Schritte hörte und spürte, dass noch jemand an den Tisch trat.
Es war Consuela. Die junge Frau lächelte
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