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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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habe! Was erwartest du? Dass ich mich dafür schäme?«
    »Natürlich nicht«, antwortete Jesus. Er klang ein ganz kleines bisschen unsicher, und vielleicht war da ja auch eine Spur von Trotz. »Und ich meinte es so, wie ich es gesagt habe: Es geht mich wirklich nichts an.«
    »Und wenn doch?«, fragte Pia.
    Jesus legte fragend den Kopf auf die Seite. Er schwieg.
    »Vielleicht geht es dich etwas an«, fuhr sie fort, die Worte langsamer und sehr sorgfältig formulierend, als fielen sie ihr erst in genau dem Sekundenbruchteil ein, in dem sie ihr über die Lippen kamen. Und ein bisschen war es auch so.
    »Ich wusste damals wirklich nicht, ob wir uns jemals wiedersehen, Jesus. Im Gegenteil: Ich wusste nicht einmal, ob du überhaupt noch am Leben warst. Und als ich dich dann plötzlich wiedergesehen habe ...«
    »Mich?«
    »Ja, verdammt, dich!«, fauchte sie mit sie selbst überraschender Heftigkeit. »Genau das war er in diesem Moment für mich: Du! Genau der Jesus, mit dem ich schon vor fünf Jahren etwas angefangen hätte – wenn es ihn denn gegeben hätte!«
    Jetzt sah Jesus – Ter Lion – sie eindeutig verwirrt an, auch wenn sie irgendwie spürte, dass diese Verstörtheit nur gespielt war und er in Wahrheit sehr genau wusste, was sie meinte. Entsprechend fuhr sie auch nicht mit den Worten fort, die sie sich eigentlich zurechtgelegt hatte, sondern zwang sich zu einem leicht spöttischen Lächeln und sagte stattdessen: »Dir ist schon klar, dass du eifersüchtig auf dich selbst bist?«
    »Was für ein Unsinn!«, schnaubte Jesus.
    »Ah ja?«, fragte Pia. »Ich verstehe. Du willst mir also erzählen, du hättest es noch gar nicht gemerkt?«
    »Was gemerkt?«
    Pia machte eine heftig wedelnde Geste in die Runde, und am gegenüberliegenden Flussufer stob eine Schar schreiend bunter Vögel aus den Baumwipfeln und entfernte sich unter protestierendem Kreischen, was wiederum eine Woge aus unruhiger Bewegung unter den Pferden auf dieser Seite des Flusses zur Folge hatte. »Diese Welt«, antwortete sie nach einem kurzen verblüfften Zögern. »Ich weiß nicht, wie genau sie funktioniert oder ob es sie überhaupt wirklich gibt oder ob ich im Koma liege und mir das alles nur zusammenfantasiere, aber es spielt auch gar keine Rolle! Wir sind nun einmal hier, und ob es dir und mir nun passt oder nicht, sie verändert uns! Sie hat Alica verändert –«
    »Du meinst, sie hat sie noch verrückter gemacht?«
    »Aber auch klüger. Vielleicht bringt sie nur das deutlicher zum Vorschein, was wir wirklich sind, wer weiß?«
    »Und was hat sie aus dir gemacht?«
    »Die Frage ist vielmehr, was sie aus dir gemacht hat, Jesus.«
    Sein Blick verhärtete sich. »Und was wäre das?«
    Statt sofort zu antworten, glitt sie kurz entschlossen neben ihn und legte die flache Hand auf seinen Unterarm. Jesus hatte sich meisterlich unter Kontrolle, aber sie konnte trotzdem spüren, wie er unter dem schwarzen Leder seines Hemds erschauerte. »Weißt du, als ich Ter Lion damals zum ersten Mal sah, da konnte ich es im allerersten Moment nicht einmal glauben, so groß war die Ähnlichkeit.«
    »Das hat Alica mir auch erzählt«, antwortete Jesus bedächtig. »Es heißt ja, dass jeder irgendwo seinen Doppelgänger findet, wenn man nur lange genug sucht.«
    »Das mag sein«, antwortete Pia, schüttelte aber trotzdem zugleich den Kopf. Ihre Hand lag noch immer auf seinem Unterarm. »Aber das war etwas anderes. Ter Lion war du, verstehst du?«
    »Nein.«
    Natürlich verstand er sie. Sie fragte sich sogar, ob er es nicht sogar schon vor ihr verstanden hatte. »Das war nicht nur eine äußerliche Ähnlichkeit. Vielleicht ... vielleicht hat jeder von uns sein Spiegelbild hier in dieser Welt. Dieser Mann war nicht einfach nur dein Doppelgänger. Das warst du!«
    Jesus schwieg. Nach einer weiteren Sekunde zog er den Arm doch zurück, und obwohl sie spürte, dass in dieser Bewegung keine Ablehnung oder gar Feindseligkeit lag, schmerzte es sie. »Und jetzt ist er tot und du –«
    »Und ich habe um ihn geweint, ja«, fiel ihm Pia ins Wort, bevor er weiterreden und etwas sagen konnte, was ihr wirklich wehtun würde. Und ihm auch. »Aber im Grunde habe ich um dich geweint, Jesus ... Lion.«
    Seine Pupillen weiteten sich um eine Winzigkeit, als sie diesen Namen benutzte, aber er sah sie nur weiter auf diese wirklich sonderbare Art an.
    »Vielleicht musste er ja sterben, damit du leben kannst«, fuhr sie fort. »Wer weiß? Vielleicht konntest du überhaupt nur

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