Elfenzorn
Lion.
Statt zu antworten, durchquerte sie den Raum mit schnellen Schritten, stieß die gegenüberliegende Tür auf und stellte erleichtert fest, dass der sich anschließende Gang einen deutlich kleineren Silberanteil aufwies. Sie stolperte noch ein paar Schritte weiter, bevor sie stehen blieb und sich um ein Haar erleichtert gegen die Wand hätte sinken lassen.
»Was ist los?« Lion holte sie ein und ergriff sie mit derselben Hand, in der er das Schwert hielt, am Arm, um sie zu stützen, und ihr wurde erst in diesem Moment klar, dass das auch bitter nötig war. Sie zitterte am ganzen Leib, und aus dem schlechten Geschmack unter ihrer Zunge war längst eine ausgewachsene Übelkeit geworden.
»Ist alles in Ordnung?«
»Jetzt ja«, brachte sie irgendwie heraus.
»Klar«, antwortete Lion. »Und die Erde ist eine Scheibe. Weißt du eigentlich, dass du eine miserable Lügnerin bist?«
»Wenn du das so genau weißt, warum fragst du dann?« Pia riss ihren Arm los, schluckte sauren Speichel herunter und hatte gottlob ja noch den Elfenzorn in der Hand, auf den sie sich stützen konnte, um nicht ganz stolz auf die Nase zu fallen. Trotzdem schüttelte sie (sehr vorsichtig) den Kopf und sagte noch einmal: »Es geht schon wieder. Und es wird auch gleich besser.«
»Ach ja, und das weißt du?«
»Ja«, beharrte Pia und kam seiner nächsten Frage zuvor: »Weil ich so etwas schon einmal erlebt habe.«
Und sie hatte auch eine Kammer wie diese schon einmal gesehen. Sie war weit weg, kleiner und ungleich prachtvoller, aber genauso tödlich.
»Ich habe so etwas schon einmal gesehen«, sagte sie. Noch immer sammelte sich bitter schmeckende Galle unter ihrer Zunge, den sie kaum noch schnell genug herunterschlucken konnte, um nicht zu sabbern, wohl wissend, dass sie es damit eher noch schlimmer machte. »In Chichen Itza, unten am See.«
»Die Silberkammer.«
»Du hast sie auch gesehen?«
Lion schüttelte den Kopf. Die Sorge wich nicht aus seinem Blick. »Nein. Aber Alica hat jedem davon erzählt, der es hören wollte. Jedem, der es nicht hören wollte, übrigens auch. Du wärst beinahe draufgegangen, nachdem du sie betreten hast, nicht wahr?«
»Du übertreibst mal wieder.« Pia richtete sich vorsichtig auf und ging wieder ein paar Schritte zurück, bis sie spürte, wie das Grummeln in ihren Eingeweiden wieder zuzunehmen begann. Sie konnte die Kammer nicht zur Gänze übersehen, zumal sich der rote Schein von Lions Fackel schon nach wenigen Schritten in der Dunkelheit auflöste, doch das wenige, was zu erkennen war, reichte vollkommen aus, um aus ihrem Verdacht Gewissheit zu machen.
»Weißt du, was das hier ist?«, fragte sie.
»Der kleine Bruder von Kukulkans Schatzkammer?«, fragte Lion.
Eher der große , dachte sie. Wenn der Eindruck nicht täuschte, den sie auf dem Weg hierher gewonnen hatte, dann war dieser ganze Berg nicht viel mehr als ein einziger riesiger Silberbarren, in den sich ein paar Spuren von Stein verirrt hatten. Trotzdem schüttelte sie den Kopf.
»Siehst du all die Einlegearbeiten?«, fragte sie. »Sogar im Boden ist Silber. Mehr als überall sonst hier.«
»Wir könnten einen Schmuckladen für alle ohne spitze Ohren aufmachen«, schlug Lion vor, aber Pia blieb ernst.
»Das ist so eine Art Schleuse, wenn du mich fragst«, sagte sie.»Kein Elb dieser Welt kann diesen Raum durchqueren, ohne sich zu vergiften.«
»Und keine Gaylen.«
»Unsinn«, widersprach sie. »Ich bin kein Spitzohr.«
»Und unser Kind?«
Pia wollte antworten, drehte sich aber dann zu ihm herum und sah ihn verblüfft an. Hatte er gerade unser Kind gesagt?
»Es sei denn, du hast jemand anderen als Ersatzvater im Auge«, fuhr er fort, sehr ernst, und als hätte sie die Frage laut ausgesprochen. Vielleicht hatte sie es ja.
»Soll das ...« Sie musste noch einmal neu ansetzen, als ihre Stimme ihr den Dienst zu versagen drohte; und um ihre Gedanken zu sortieren und sicherzugehen, dass sie das gerade wirklich gehört hatte.
»Soll das so etwas wie ein … ein Heiratsantrag sein?«
»Und wenn?« Lion grinste plötzlich wie ein Schuljunge, der ein Rendezvous mit seiner allerersten Freundin klarzumachen versuchte, aber sie las in seinen Augen, dass er es vollkommen ernst meinte.
»Hier? Jetzt?«
»Ist vielleicht die letzte Gelegenheit«, witzelte er. »Und wenn die Sache hier schiefgeht, bin ich fein raus und muss mir nicht einmal eine Ausrede einfallen lassen, um mich aus der Affäre zu ziehen.« Einen Moment lang war sie noch
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